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Ein Bericht von Christian Pfendesack

Vorab ein paar Daten:

  • Termin des Rennens: 26.Juni bis 30. Juni 2019
  • 117 Teams sind am Start, 86 Teams werden das Zeil erreichen
  • Wer startet?
    • Solo- oder Tandem-Kajaks bzw. -Kanus,
    • Voyageur-Kanus (sind grösser, 8 oder mehr Personen)
    • SUP's (Stand up Paddlers, stehend)
  • Mehr als 300 freiwillige Helfer unterstützen die Teilnehmer vom Start bis ins Ziel
  • Streckenlänge: 715 km
  • Zeitlimit: maximal 84 Stunden
  • Die Strecke durchquert das Gebiet von 5 First Nation Communities
  • Wir haben Startnummer 86, Team “Old Danube Pirates”
  • The weather will be as it will be
  • Pause 1: Carmacks, 300 km, erreicht nach 28:30 Stunden. Die Pause dauert (verpflichtend) 7 Stunden.
  • Five Finger Rapids, 338 km
  • Pause 2: Coffee Creek, 536 km, erreicht nach 43:00 Stunden. Die Pause dauert (verpflichtend) 3 Stunden.
  • Ziel: Dawson City, erreicht nach 62 Stunden auf dem Wasser
  • http://www.yukonriverquest.com

Als Paddler kann es schon mal vorkommen, dass man irgendwann auf Geschichten vom „Yukon River Quest“ stößt. So ist es auch, Holger und mir ergangen. Das YRQ ist ein Paddel-Rennen im Nordwesten Kanadas, 715 km auf dem Yukon River, von Whitehorse nach Dawson City. Es ist das längste Kajak-Kanu-Rennen der Welt und führt über weite Strecken durch unbewohntes, offenes Land.

Einmal davon gehört, denken manche gar nicht weiter darüber nach. Andere vergessen die Geschichten, aber bei ganz wenigen wird die Erinnerung heimlich in einer kleinen Ecke ihres Gehirns gespeichert – um irgendwann aus dem Versteck heraus zu springen und laut „Hallo“ zu rufen!

So beschließen wir im September 2018, diesem „Hallo“ zu folgen. Holger ist ein sehr erfahrener Paddler. Er hat viele Flüsse im Yukon Territory befahren, ist Kanulehrer und hat auch Erfahrung mit Wildwasser. Mit meiner Freundin Conny gemeinsam habe ich erst vor wenigen Jahren mit dem Paddeln begonnen.

Vor dem Rennen gibt es viel zu organisieren: Registrieren, Versicherungen abschließen, ein Boot mieten, Flüge buchen.

Essentiell ist ein intensives Training, das schon Monate vor dem Rennen beginnt. Holger und ich finden bei der Polizeisportvereinigung an der alten Donau in Wien sehr gute Trainingsbedingungen vor. Besonders den kurzen Weg vom Bootssteg zu den heißen Duschen haben wir im Winter schätzen gelernt. Insgesamt kommen wir auf ca. 800 Trainingskilometer auf dem Wasser. Wir fahren einen offenen Tandem Kanadier. Sehr wichtig ist es, eine gute Paddeltechnik einzuüben, welche man auch schlafend ausführen könnte. Dazu kommt noch Gymnastik, Yoga und Krafttraining.

Am 16. Juni geht es endlich los! Gemeinsam fliegen nach Whitehorse. Conny hilft uns bei den Vorbereitungen und wird uns in Dawson City, falls wir es bis dorthin schaffen, abholen.

Unterwegs auf dem großen Fluss (von „Yu-kun-ah“, in der Sprache des Stammes der Gwich) sind die Paddler auf weite Stecken auf sich alleine gestellt. Vom Veranstalter werden deshalb bestimmte Ausrüstungsgegenstände vorgeschrieben und vor dem Rennen auch kontrolliert. Dazu zählen unter anderem Schwimmweste, Zelt, Schlafsack, Kocher, ein GPS-Spot, Erste Hilfe-Utensilien und vieles mehr.

Die Stimmung vor dem Rennen ist einzigartig. Man sieht nur fröhliche Menschen. Alle in Erwartung, gemeinsam als Teil einer großen Familie, ein Abenteuer zu bestehen.

Wer jetzt glaubt ein Rennen, das bis zu 84 Stunden lang dauert, würde mit dem gemütlichen Einsteigen in die Boote beginnen, wird überrascht sein. Pünktlich um 12:00 Uhr beginnt das Rennen mit einem „Le Mans Start“, 200 m von den am Ufer platzierten Booten entfernt. Alle rennen los, springen in die Boote und los geht’s.

Unter den Sitzen hat jeder von uns den Proviant für das erste Teilstück bis Carmacks verstaut. Im Boot haben wir auch noch große Trinkflaschen, welche wir unterwegs mit Wasser aus dem Yukon auffüllen. Zur Sicherheit benutzen wir Entkeimungstabletten. Ein Schlauch führt von den Flaschen zu den Schwimmwesten. Das ermöglicht zu trinken, ohne das Paddeln zu unterbrechen.

Start in Whitehorse

Die ersten Kilometer ist es ziemlich voll auf dem Wasser, Boot an Boot. Mit der Zeit zieht sich das Feld in die Länge und wir finden unseren Rhythmus. Nach etwas mehr als 3 Stunden erreichen wir den Lake Laberge, den es jetzt zu überqueren gilt. Der 50 Kilometer lange See kann rennentscheidend sein. Bei Wind entstehen sehr schnell hohe Wellen, welche Paddler in ernsthafte Schwierigkeiten bringen können.

Der See ist ruhig, kaum Wind und angenehme Temperaturen. Wir unterhalten uns mit unseren kanadischen Freunden Amy und Danny, die in der Mixed Tandem Canoe Kategorie an dem Rennen teilnehmen. Leider bleibt es nicht so ruhig. Am Horizont sind dunkle Wolken zu erkennen, der Wind frischt auf, die Wellen werden höher. Es beginnt zu regnen, und es wird stürmisch. Jetzt wissen wir, warum der Veranstalter Spritzdecken vorschreibt. Die Wellen lassen den Bug immer wieder eintauchen. Das Boot stampft auf und ab. Ein weiterer, vorgeschriebener Ausrüstungsgegenstand kommt zu Einsatz: ein sogenannter Bailer, mit dem ich Wasser aus dem Boot schöpfe. In diesem Moment tauchen erste Fragen auf: warum kommt der Wind von vorne, wieso sind die Sitze so hart, was machen wir hier? Holger lässt sich von all dem nicht beunruhigen. Er gibt mit großer Gelassenheit regelmäßig das Wort „ HUT“ von sich. Das Kommando zum Wechsel der Paddelseite.

Start in Whitehorse

Als wir gegen 23 Uhr das Ende des Sees erreichen, ist es noch hell. Um diese Jahreszeit wird es hier oben im Norden nachts nicht richtig dunkel. Wir haben bis jetzt 85 Kilometer zurückgelegt.

Weiter geht es durch die erste Nacht. Es wird kälter. Im dämmrigen Licht wirkt die Landschaft blass und still. Über dem Wasser tauchen kleine dünne Nebelbänke auf. Wir sind alleine, müde. Das Zeitgefühl geht verloren. Hin und wieder treffen wir andere Paddler, fahren ein Stück gemeinsam.

Nach 28,5 Stunden erreichen wir Carmacks, um auf dem Campingplatz die obligatorische 7-Stunden Pause zu machen. Das Aussteigen aus dem Boot klappt nur mit Unterstützung der vielen freiwilligen Helfer.

Das nächste Teilstück des YRQ führt von Carmacks nach Coffee Creek und ist 236 km lang. Die Five-Finger-Rapids durchfahren wir im Dämmerlicht der Nacht des Yukon Territory. Da der Wasserstand dieses Jahr einen historisch niedrigen Wert erreicht hat, gibt es dabei keine Probleme.

In dieser Nacht wird es ziemlich kalt. Leichter Frost lässt die Wassertropfen auf dem Bug gefrieren. Der Fluss wird breiter, die Orientierung schwieriger und wir immer müder. Ich schlafe immer wieder für einen Moment mitten während eines Paddelschlags ein.

Ziemlich desorientiert erreichen wir nach 19,5 Stunden Paddeln den zweiten Zwischenstop Coffee Creek. Die Pausenzeit beträgt 3 Stunden. Ehrenamtliche Helfer haben große Zelte aufgebaut und ein paar Planen ausgelegt, auf welche wir uns fallen lassen und sofort einschlafen.

Werden wir die letzten 180 km auf dem Yukon noch schaffen?

Es ist 22:00 Uhr als wir losfahren. Die dritte Nacht. Wir versuchen unseren Geist durch belanglose Gespräche wach zu halten. „Holger, verkaufst Du Honig auch in 1 Liter Gläsern?“ Wir lernen Shauna kennen. Sie fährt das Rennen stehend auf einem SUP (Stand-up Board). Im Ziel wird sie die einzige Frau sein, die es alleine geschafft hat.

Nach der Einmündung des White River ändert der Yukon seine Wasserfarbe: das Wasser, das vorher klar war, ist jetzt trüb kaffeebraun. Selbst Dinge, die nur wenige Zentimeter unter der Wasseroberfläche liegen, sind nicht mehr zu erkennen. Dazu kommt, dass sich der Fluss immer mehr verzweigt und die Orientierung selbst im ausgeschlafenen Zustand schwer fällt. Wir sind alles andere als ausgeschlafen. Ich bewundere die Felsmalereien an den Ufern. Sie zeigen große Fabelwesen, Tiere und Menschen. Etwas verwundert darüber, wer die Urheber der Kunstwerke waren und vor allem, wie sie die steilen Felsen hochgekommen sind, beschließe ich nicht weiter darüber nachzudenken. Später erfahre ich, dass da keine Felsmalereien waren.

Die zahlreichen, unsichtbaren Sandbänke werden dann auch für uns ein Problem. Wir bleiben stecken und müssen das Boot mühsam wieder in die Strömung schieben. Ein vorbeikommender Paddler bietet seine Hilfe an. Da haben wir es aber schon geschafft, und machen uns auf, die letzten Minuten zwischen den Stunden zu bewältigen.

Ohne noch zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden zu können verschwinden langsam die letzten Zweifel. Wir wissen, dass zu Hause Freunde die Daumen drücken und unsere Fortschritte verfolgen und dass Conny auf uns im Ziel wartet.

Auf den letzten Metern treffen wir unsere kanadischen Freunde Amy und Danny wieder. Wir kommen wir auf die Idee eines gemeinsamen Schlusssprints. Wie verlieren. Dann endlich die Ziel-Hupe. Nach 62 Stunden auf dem Wasser. Wir haben es geschafft! Gemeinsam mit unseren Paddler-Freunden landen wir in Dawson. Unsere Kraft reicht gerade noch aus um unsere Platzierung zu prüfen. Platz 12 von 21 in der Klasse „Mens Tandem Canoe“, Platz 56 von 117 in der Gesamtwertung.

Start in Whitehorse

Bis zur Abschluss-Grillparty mit der Preisverleihung schlafen wir 20 Stunden durch. Alle Helfer, Paddler und Organisatoren treffen sich und tauschen Erfahrungen aus. Jedes Team wird auf die Bühne geholt. Alle werden namentlich erwähnt. Holger erhält als ältester Teilnehmer 2019 einen Sonderpreis.

2023-02-26 / 2023-02-27