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20170814-234250
Gauja

Tourenbericht von Günter Dollhäubl

Was haben die baltischen Staaten gemeinsam? Es sind weder die Sprache, noch die Kultur, und auch nicht die Eigenheiten der Bevölkerung. Aber sie haben eine ähnliche Geschichte, nun auch eine gemeinsame Währung, und alle drei Länder sind flach wie Flundern und entwässern in die Ostsee.

Dieses flache, bewaldete Land mit den vielen Regenfällen und großen Schneemengen hat viele stark mäandernde Bäche und Flüsse, die die entstehenden Wassermassen träge zur Küste hin entwässern. Es gibt keine Kraftwerke und keine Wehre. Also ideale Voraussetzungen um in diesen Wasserläufen zu paddeln. Nichts für sportliche, sondern eher für Genusspaddler, die im Kanadier oder Wanderkayak den Reiz der recht ursprünglichen Landschaft genießen wollen.

Von der doch recht großen Anzahl von paddelbaren Wasserstraßen habe ich mir die Gauja in Lettland ausgesucht. Sie ist vom Mittel- bis zum Unterlauf gut paddelbar und jegliche Infrastruktur wie Kanuvermieter, Lagerplätze, Einsetzstellen, Taxis, Flusskarten, etc. ist vorhanden. Es wird empfohlen, die Gauja in 5 Tagesetappen runter zu paddeln. Ich hatte einen Tag Zeit, das Wetter war schön, und ich sah keinen Grund. mir nicht eine dieser Tagesetappen zu geben.

Ich mietete für einen Tag ein Kanu mit Transport zur Einsetzstelle und den Nebengeräuschen, wie Flusskarte, Schwimmweste, wasserdichtem Sack. Die Strecke war 20 km lang und als Tagesetappe ausgeschrieben. Die durchschnittliche Fließgeschwindigkeit der Gauja in dieser Gegend ist ungefähr 1,8 km/h. Also ein wenig paddeln ist schon angesagt. Aber in 4 bis 5 Stunden sollte es locker zu schaffen sein. Sogar mit Pausen. Ich blätterte die geforderten 40 Euro hin und schon war ich im wahrsten Sinn des Wortes "im Boot".

Ich entschied mich für einen eher kürzeren Old Town Zweier-Kanadier, da keine Einer vorhanden waren. Leider waren Schalensitze montiert, so dass ich das Boot nicht verkehrt benutzen konnte, um mehr in der Mitte des Bootes zu sitzen.

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Am Morgen des nächsten Tages wurde ich zusammen mit einigen anderen Paddlern mit einem Kleinbus zur Einsetzstelle bei Cesis gebracht. Anscheinend war ich der einzige Paddler mit etwas Erfahrung, da den anderen erst erklärt werden musste, wie man das Paddel hält, bzw. die wasserdichten Säcke verschließt. Ich verzichtete auf die Unterweisung, zog meinen Kanadier die Böschung hinunter, und warf meine Sachen ins Boot. Ich legte vorschriftsmäßig die Schwimmweste an und unter den Augen von ca. 20 anderen „Paddlern“ legte ich - wie gelernt - gegen die Strömung ab, obwohl mir bewußt war, dass die Strömung in diesem Fluss nur eine eher untergeordnete Rolle spielen würde. Mit dieser Annahme hatte ich verdammt recht. Mehr als mir lieb war. Ich war kaum 10 Meter draußen und wollte nun das Boot in die Strömung drehen, aber es ging nicht. Ich merkte, dass der Wind genau von Fluss abwärts kam und es für mich nicht möglich war, das Boot zu drehen. Je mehr ich mich bemühte, desto schneller bewegte sich das Kanu Richtung gegenüber liegendem Ufer, ohne sich jedoch nur einen Grad zu drehen. Wie peinlich. Instinktiv ging ich auf die Knie und rutschte in die Bootsmitte. Mit Aufbringung all meiner Kräfte gelang es mir dann endlich, das Boot in die Flussrichtung zu bekommen und etwas an Geschwindigkeit aufzubauen. Ein kurzer Blick ans Ufer zeigte mir, dass mindestens 20 Augenpaare meinen Kampf verfolgt hatten. Ich winkte kurz und lässig ans Ufer. Das Boot kam ein paar Grad aus der Windrichtung und sofort wurde es wieder zur Seite gedrückt. Ich musste in Windeseile die Paddelseite wechseln und mit all meiner Kraft dagegen ankämpfen. 20 harte und schweißtreibende Sekunden später hatte ich das Boot wieder im Griff, ohne jedoch einen Meter vorwärts geschafft zu haben, denn der steife Gegenwind war stärker als die Fließgeschwindigkeit. Aber nun haute ich voll konzentriert und mit all meiner Kraft rein und langsam setzte sich das Boot in Bewegung. Nach endlosen 5 Minuten fuhr ich um die erste Biegung und war damit außer Sichtweite des Einstellplatzes. Nun kam aber der Wind von rechts vorne und drückte wieder gegen das Boot. Schnell hatte ich das Paddel auf der linken Seite und kämpfte dagegen an. Nun schossen mir zwei Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Wie sollte ich diese Anstrengung 20 km lang durchhalten, und was soll ich machen, da ich spürte, wie sich in meiner linken Wade ein mächtiger Krampf ankündigte. Ich musste ihn einfach ignorieren. Es war keine Zeit für solche Kleinigkeiten. Das schaffte ich gute 10 Sekunden lang. Wer schon Wadenkrämpfe gehabt hat, der weiß, dass hier die eisernste Disziplin nichts hilft. Ich musste mich hinten ins Boot setzen und das Bein durchstrecken. Vom Zeitpunkt, als ich das Paddel aus dem Wasser nahm, bis zum Zeitpunkt, als der Wind das Boot genau um 180 Grad gedreht hatte, vergingen kaum 7 Sekunden. Toll. Der Krampf ließ nach und ich landete im Schilf des Ufers. Hier war weniger Wind. Ich drehte das Boot wieder in Fahrtrichtung und legte los. Genau gegen den Wind. Bald merkte ich, dass ich bei kräftigen Paddelschlägen ca. 5 Grad aus dem Wind kommen darf, und dann das Boot mit einigen kräftigen Schlägen wieder exakt ausrichten kann. Da der Wind nicht immer genau aus der Flussrichtung kam, musste ich des öfteren „aufkreuzen“, was wiederum viel Energie kostete und kaum Meter brachte. Als ich ein paar Minuten später wieder keuchend im Uferschilf lag, wusste ich, dass ich, falls der Wind anhielt, als Solopaddler in diesem Zweierkanadier meine Sünden abbüßen würde müssen. Nicht unbedingt das, was ich mir von einem kleinen Paddelabenteuer erwartet hatte.

Ich legte wieder los und sah ein Schild mit der Aufschrift "Zagarkalns" am Ufer. Ein Blick auf die Karte zeigte mir, dass ich die ersten 500 Meter geschafft hatte. Nicht wirklich aufbauend. Aber ich hatte auch festgestellt, dass das Old Town durch die ungleiche Gewichtsverteilung am Bug zur Gänze aus dem Wasser ragte und ich daher so windanfällig war. Mir war klar, dass ich vorne ins Boot Ballast legen muss, damit sich der Tiefgang etwas erhöht und ich so mehr Stabilität bekomme. Zumindest war dies meine Theorie. Das nächste Problem war die Frage: woher Ballast nehmen? Die baltischen Staaten sind Schwemmgebiet. Alles ist ein gewaltiger Sandhaufen. Die Flussufer sind zwar teilweise tiefer eingegraben, aber es gibt keine Steine. Die Sandbänke sind aus Sand und nicht wie bei uns aus 1000en Kieselsteinen. Nach weiteren 15 harten Minuten – inzwischen haben mich 2 Wanderkayak-Fahrer überholt und auch das erste Anfänger-Kanu ist vorbeigepaddelt – hatte ich endlich Glück. An einem Uferabbruch sah ich Steine liegen. Ich paddelte hin und legte an. Dann schälte ich mithilfe einer Wurzel an die 50 größere und kleinere Kieselsteine aus dem Ufersand. Ich schichtete sie ganz vorne im Kanadier auf und setzte meine Fahrt fort. Und siehe da, meine Theorie hatte sich bestätigt. Das Boot lag nun gut im Wasser und obwohl es noch immer windig war, paddelte ich den Kanadier mit langsamen kräftigen Zügen den Fluss ohne Probleme hinunter.

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Nun war endlich Zeit zum Schauen. Der Fluss mäandert und hat steile Ufer. Alles Land ist mit dichtem Wald bedeckt. Der Lagerplatz "Ozolkalns" und ein wenig später „Kvepene“ glitten an mir vorbei. Ich überholte ein paar Kanus. Die Leute hatten es auch nicht eilig. Sie stiegen auf Sandbänken oder den Lagerplätzen aus und gingen baden. Mir war das Wasser, obwohl ich verschwitzt war, dann doch zu kühl. Aber nun machte das Paddeln in dieser ursprünglichen Natur wirklich Spaß. Ich beobachtete Störche und Reiher und auch kleine Eisvögel und Bachstelzen. Hin und wieder auch Wildenten, aber keine größeren Wildtiere.

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Dann ließ ich mich eine Weile treiben. Nur sehr langsam trieb das Boot gegen den Wind diesen trägen Fluss hinunter. Genug Zeit um die Angel auszupacken. Ich fischte eine Stunde erfolglos vor mich hin. Macht nichts. Hauptsache, es macht Spaß, war mein Motto. Wäre vielleicht ganz nett, in einer Gruppe hinunter zu paddeln, dachte ich. Man hat viel Zeit und es kann eigentlich nichts passieren. Alle zwei bis drei km ein Lagerplatz. Alle sehr schön angelegt.

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Das Wasser ist leider nicht glasklar wie in unseren Bergen, sondern rostbraun und undurchsichtig. Es führt sehr viel Sand mit sich. Ich machte auf einer Sandbank eine Pause. Aß und trank etwas und versuchte erneut mein Glück als Angler.

Dann ging es weiter die Gauja hinunter. Nun bildete sich am rechten Ufer eine ca. 10 Meter hohe Wand und die Strömung nahm zu. Der Vermieter hatte alle vor dieser Stelle gewarnt. Man muss hier das Boot in der Strömung halten und sollte möglichst weit rechts runter fahren. Nun folgte zu meiner Freude eine ca. 1000 Meter lange Strecke mit Wellen und Walzen. Endlich was los! Nicht so wild wie auf der Traun oder anderen Gebirgsflüssen. Also steuerte ich mitten in die Strudel hinein, frei nach dem Motto „no risk, no fun“. Das Boot wurde durchgeschüttelt, aber es lag nun wirklich gut im Wasser und es waren wirklich nur ein paar Spritzer, die über die Bordwand ins Boot kamen. Nach 10 weiteren Minuten beruhigte sich das Wasser wieder. Schade. Das hatte wirklich Spaß gemacht. Ich paddelte weiter und wusste, dass es nun nur noch 5 km bis zum Camp bei Ligatne waren. Also noch einmal anlanden. Ein paar Fotos. Etwas trinken. Fischen. Und dann gemütlich zum Tagesziel.

Geschafft!

5 Stunden. Trotz anfänglichem Kampf und Gegenwind. Eine Tagesetappe für Anfänger – oder einfach für Urlauber, die viel Zeit am Fluss verbringen wollen. Habe die Steine aus dem Boot geworfen und es dann zurückgegeben. War ein gutes Boot. Ich habe wieder ein paar Flusskilometer als Solopaddler auf mein Konto angeschrieben und dabei etwas dazu gelernt.