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20151109-235652
Erster Teil siehe.

10. März

Der zweite Tag des Rennens begrüßte uns mit Regen. Die Landschaft, die Strasse, die Baracken, alles war grau in grau. Es regnete wie aus Eimern. Nicht unbedingt ein ideales Wettkampfwetter. Aber beim Gedanken über unsere momentane Platzierung erwachte der Kampfgeist, und das Wetter war nur mehr halb so wichtig. Als wir zum Frühstück gehen wollten, merken wir dass wir nach zwei Minuten nass bis auf die Haut waren, und dass es nicht sehr warm war. Ich war mir nicht sicher was ich anziehen sollte. Entschied mich dann aber wieder für die Badehose, ein T-Shirt und die Schwimmweste. Beim Essen merkte ich, dass ich in den Unterarmen, am Nacken, und am Bauch einen Muskelkater hatte. Auch so war ich etwas abgespannt. Wir tranken heißen starken Kaffee und schoben uns ein paar glitschige Toastbrote zwischen die Kiemen. Dabei diskutierten wir wieder unsere heutige Taktik. Es gab auf der 55 km langen Etappe nur 6 Sonderprüfungen. Eine Steinwurfstelle, zwei Stromschnellen, ein Wasserfall, eine Untiefe, und schließlich zuletzt das Flussarmsystem von Burrell Boom. Das sechste und letzte Kriterium des heutigen Tages sollte sich eher durch Zufall ergeben. Das Etappenziel in Burrell Boom liegt am Hauptarm des Belize Rivers. Doch bereits 20 km vor dem Ziel beginnt sich der Fluss in mehrere Arme zu verzweigen, die zwar immer wieder zusammen führten, aber welcher Arm der schnellste ist, weiß jedoch niemand. Oder fast niemand, denn die professionellen Teams hatten sich die Strecke mit dem Hubschrauber angesehen, und hatten sicher eine Idee welche Route zu nehmen war. Dies war aber sowieso nur der Anfang, den kurz nach Burrell Boom rinnt der Rio Negro in ein riesiges Sumpfgebiet, welches auch noch von anderen Flüssen gespeist wird, um ca. 30 km später wieder in ein halbwegs erkennbares Flussbett zu münden. Dies war aber bereits ein Vorgriff auf den dritten Tag.

Wir packten unsere Sachen und marschieren im strömenden Regen zur Startstelle. Heute mussten wir sehr zeitig daran sein. Die Starter wurden nach der vortägigen Platzierung entsprechend losgeschickt. Dabei wurde als Abstand der jeweilige Rückstand gerechnet. Wir wurden daher mit 57 Minuten Rückstand zum Führenden losgeschickt. Exakt um 9 Uhr 27. Nach dem Essen gingen wir kurz ins Pressebüro. Eine amerikanische Kanuzeitschrift interviewte uns. Wir versuchten wahrheitsgemäß zu antworten und baten die beiden Interviewer mit Phil und Mike zu sprechen, die ja unsere Coaches waren, und denen der Hauptteil unseres Erfolges zuzuschreiben war. Damit waren wir entlassen, und wir machten den beiden Kanadiern noch eine Freude.

Kurz vor 9 tauchten Mike und Phil wieder auf. Sie gaben uns ein paar Tipps und bestätigten unsere Strategie. Sie wollten sich auch aufteilen und bei den einzelnen Kriterien auskundschaften wie sie zu befahren seien. Wir machten uns eine Art Zeichensprache aus, die helfen sollte mit wenigen Worten Anweisungen zu geben und auch zu verstehen.

Dann war es wieder soweit. Wir gingen zum Steg und unterschrieben. 127 Starter waren auf die erste Etappe aufgebrochen, nun waren es nur noch 113. Unser Hawkeye war bereit und wir klettern in das Boot und schlossen die Spritzdecke. Dann setzten wir unsere Helme auf und warten auf den Countdown. Als es so weit war paddelten wir recht eifrig los. Wir mussten fast zwei Minuten auf ein finnisches Paar aufholen und mehr als drei Minuten auf das langsamste Werksteam von Melville, den tschechischen Duo Szostakowskij/Smid. Dafür hatten wir fast 4 Minuten Vorsprung auf ein Black Crow Kanu eines Division II Teams. Unser Hawkeye kam auch schnell in Schwung. Wir paddelten unter den drei Brücken von Bermudian Landing durch und verließen dieses Dorf in östlicher Richtung. Es waren fast neun Kilometer bis zum ersten Hindernis des Tages. Eine Good Luck Stelle. Ein paar hundert Meter zuvor sahen wir Mike am Ufer stehen. Er winkte mit einem rosa Shirt und wir fuhren näher heran. Er gab uns beim Vorbeifahren zu verstehen, dass das Hindernis in der Mitte zu befahren sei. Wir nahmen wieder Fahrt auf und steuerten der Mitte des Flusses zu. Dann waren wir an der Kante. Wieder ein Adrenalinstoß; kein Zeichen von Abgebrühtheit. Wir fuhren in ein Gewirr von Walzen und Kehrwassern. Da aber die Strömung nicht so stark war, und dank des Regens auch nicht sehr viele Steine aus dem Wasser ragten, gelang es uns halbwegs gefahrlos die Schnelle zu bewältigen. Doch noch bevor wir wieder in ruhige Gewässer kamen, schoss an unserer rechten Seite das Black Crow des Division II Teams vorbei. Wir nahmen aber sofort die Verfolgung auf und wollten uns nicht abhängen lassen. Kurz darauf hatte ich Zeit mich kurz umzudrehen. Da sah ich ein paar hundert Meter hinter uns, noch zwei weitere Boote. Aber ich musste mich schon auf das nächste Hindernis konzentrieren, welches ein paar Hundert Meter flussabwärts auf uns wartete. Eine Steinwurfstelle, die falls richtig befahren, bei Hochwasser wie jetzt, kaum ein Problem sein sollte.

Da war sie auch schon. Das nahe Rauschen und die waagrechte Linie am Wasserspiegel des Flusses machte uns darauf aufmerksam. Wir konsentrierten uns und beschleunigen das Boot. Helmut steuerte wieder auf die Mitte des Flusses zu. Dann waren wir an der Kante. Das Boot schoss darüber hinaus und neigte sich plötzlich nach unten. Erst jetzt konnte ich sehen was da vor mir war. Dann ein gewaltiger Platscher und das Boot sauste die Schrägpassage hinunter und tauchte mit dem Bug tief ins Kehrwasser. Da waren wir aber auch schon wieder oben und ich versuchte wieder Sicht zu bekommen und mich wieder auf das paddeln zu konzentrieren.

Nun waren ein paar Kilometer ruhigere Strecke angesagt, bis zum Tageshöhepunkt, dem Salto Loida. Hier fällt der Hauptarm des Flusses ungefähr 5 bis 6 Meter in die Tiefe. Jedoch kann man dieses Problem umgehen, indem man einen linken Nebenarm fährt. Dieser fällt in Kaskaden von Pool zu Pool ins Tal hinunter um dann wieder in den Hauptfluss zu münden. Vor dem Wasserfall waren zwei Seile gespannt. Diese zu ergreifen war die letzte Chance einen Sturz in die Tiefe zu vermeiden. Jedoch hütet sich jeder zu nahe an den Abgrund zu paddeln. Trotzdem kreisten meine Gedanken am Salto Loida, den ich zwar noch nie gesehen hatte, der mir aber trotzdem etwas Respekt – oder war es Angst – einflösste. Wir wollten rechtzeitig links abbiegen und anlanden, um uns die Wasserterrassen anzusehen, bevor wir uns runterstürzen würden. Das war der Plan. Wo anzulanden ist, sollte einfach herauszufinden sein, denn dort würden sicher die gelben Helfer stehen. Apropos gelbe Helfer. Ich finde es war eine ausgezeichnete Idee der Veranstalter, eine Hundertschaft von einheimischen Burschen zu rekrutieren, sie mit T-Shirts, Seilen, Wurfsäcken und Funkgeräten auszustatten, und sie entlang der Strecke an den noralgischen Punkten zu postieren. Obwohl man sich bei einem Unfall selbst helfen muss, kann man doch mit schneller Hilfe der wagemutigen Burschen rechnen. Sie riskieren teilweise Kopf und Kragen für die sprichwörtliche Handvoll Dollar.

Da tauchten auch schon die ersten Leute auf, die uns nach links winkten. Interessanterweise hörten wir den Wasserfall nicht. Anscheinend war das Rauschen des mit Steinen übersäten Flussbettes zu laut. Da sahen wir vor uns einen Nebelschleier. Mir war sofort klar was dies bedeutete. Automatisch erhöhten wir unsere Anstrengungen und fuhren mit kräftigen Stößen auf das linke Ufer zu. Einige Leute riefen uns zu und wir landeten vor ihnen auf einem flachen Wiesenstreifen. Wir sprangen aus dem Boot und suchten nach dem Weg. Wie man aus den Fußstapfen im weichen Moor erkennen konnte waren schon viele vor uns da. Wir liefen 20 Meter nach hinten und sahen die einzelnen Wasserbecken, die in Terrassen angelegt zu sein schienen. Wir sahen auch die Wasserläufe, die in Kaskaden hinunter führten. Es schien als habe da jemand eine liebliche Wasserlandschaft angelegt. Die drei Kaskaden, die wir von unserem Platz aus sehen konnten waren etwa ein bis zwei Meter tief. Es schien nicht so schwer zu sein hinunter zu fahren, aber da die Becken nicht sehr tief und sehr groß waren, musste man darauf achten, nicht auf der Schräge hängen zu bleiben. Natürlich hatten wir den Grundriss der Becken und der Kaskaden aus dem Roadbook gelernt. Der Blick hatte uns auch gezeigt, dass es nur halb so wild zu sein schien. Wir liefen wieder zurück und schoben unser Boot wieder ins Wasser. Inzwischen waren zwei weitere Boote den Fluss herunter kommen. Da die Boote nur einzeln hinuntergelassen werden, beeilen wir uns und zwängten uns in die Spritzdecken. Glücklicherweise landeten auch sie an, so dass wir mit kleinem Vorsprung losfahren konnten. Schon waren wir wieder unterwegs. Ein paar Paddelschläge später fuhren wir um eine Kante und dann ging die Party ab. Fast zwei Meter ging es runter ins erste Becken. Mit einem kräftigen Aufschlag klatschte der Vorderteil ins Wasser und noch ehe ich mich verschauen konnte, flog ich im hohen Bogen vorne über den Kiel. Dabei reiße ich auch noch die Spritzdecke herunter. Da das Wasser hier nur einen Meter tief war, sprang ich sofort wieder auf um mich zu orientieren. Das Boot hatte sich gedreht und rutschte gerade ins nächste Becken, das vielleicht 70 cm tiefer lag. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich parallel zum Boot hinunter treiben zu lassen. Im zweiten Becken war kaum ein halber Meter Wasser. Als ich dies registrierte sprang ich auf, drehe das Boot um 180 Grad und klettere wieder hinein. Die Spritzdecke ließ ich wie sie war und wir fuhren ins nächste Becken. Diesmal ohne Probleme. Wieder drehten wir das Boot und die Strömung half uns ins vorletzte Becken hinunter. Wieder rumpelten wir einen Meter tiefer. Wir wussten, dass der letzte zwei Meter Sprung direkt geradeaus sein sollte. Ich drehte mich kurz um, und sah dass Helmut bereits auf das letzte Hindernis zusteuerte. Und schon war ich wieder in der Luft und plötzlich kippte das Boot runter. Wieder klatschte unser Hawkeye wuchtig aufs Wasser und ein gewaltiger Schwall ergoss sich über mich und füllte das Boot. Aus mir nicht erklärbaren Gründen fuhr der Frontteil des Bootes nicht weiter sondern ging seitlich weg, und dadurch fiel der hintere Teil seitlich hinunter. Sofort nach dem Aufschlag kippte das Boot und das herunterstürzende Wasser füllte es noch mehr. Sekunden später zogen wir schwimmend, das sich unter Wasser befindliche Boot ans Ufer. Irgendwie war dieses Hindernis vollkommen schief gelaufen. Da waren aber schon ein paar gelbe Helfer und zogen das Boot und uns ans Ufer. Gemeinsam versuchten wir es umzudrehen, während gerade ein weiteres Boot problemlos mit lautem Hurra ins untere Becken klatschte und die Fahrt wieder aufnahm. Kurz darauf gelang es uns mit vereinten Kräften das Boot zu entleeren. Wir drehten es wieder um, und versuchten die Spritzdecke wieder zu befestigen. In der Eile dauerte es aber umso länger. Inzwischen war gerade wieder ein Boot vorbei gezogen. Endlich waren wir wieder startbereit. Unsere Helfer waren inzwischen wieder ins Wasser gesprungen um ein weiteres gekentertes Boot zu retten. Also musste Helmut nochmals aus dem Boot. Er drückte es ins Wasser und sprang nach. Wieder dauerte es eine Weile bis er fahrbereit war, während ich versuchte das Boot in der Strömung zu halten.

In solchen Momenten dauern Sekunden wie Ewigkeiten. Dann waren wir wieder unterwegs. Jedoch blieb kaum Zeit zum Konzentrieren auf die nächste Passage, denn kaum 700 Meter später war sie schon da. Dort fließt der Belize River über eine gewaltige Felsplatte. Der Fluss teilt sich in unzählige Rinnsale und schießt kaum zwanzig cm tief kreuz und quer über die Flachstelle. Das Routebook meinte, dass bei Hochwasser keine vorherige Besichtigung notwendig sein sollte. Also folgten wir ganz einfach dem Gefühl und ließen uns ziemlich weit links hinunter, wo so wie es schien, das meiste Wasser sein sollte. Schon ging es rasant die 600 Meter lange Passage hinunter. Da sahen wir rechts vor uns ein Boot, das gerade wieder flott gemacht wurde und wo der Pilot sich ins Boot hievte. Wir versuchten immer in der Falllinie zu bleiben und möglichst bei jedem Aufsitzer, mit den Paddeln das Boot wieder frei zu bekommen. Da wechselte das andere Boot gerade in unsere Fahrrinne und wir konnten nicht verhindern, dass wir sie von links hinten anstießen. Dadurch wurden bei Boote nach links gedreht und wir hatten alle Hände voll zu tun, sie wieder in Fahrtrichtung zu drehen. Um eine weitere Kollision zu vermeiden versuchte Helmut nach links in eine andere Fahrrinne zu kommen. Ich verstand sofort was er vorhatte, und half mit meinem Paddel massiv nach, indem ich es mit voller Kraft gegen einen Felsen stemmte. Dabei rutsche ich weg und wäre fast wieder aus dem Boot gefallen, wenn nicht Helmut im selben Moment das Boot wieder nach rechts in die nächste Rinne gelenkt hätte. Schon waren wir wieder im Rhythmus. Noch zweimal zogen wir nach links und kamen so in einen Hauptarm. Rasend schnell ging es nun hinunter. Kaum unten angekommen drehten wir uns um und sahen, dass wir zwei Boote überholt hatten. Dann paddelten wir auf Druck weiter. Nun merkte ich, dass ich Schmerzen an Schienbeinen und am Ellbogen hatte. Anscheinend hatten meine Stürze doch Folgen. Jetzt kam wieder eine längere Strecke bis zur zweiten und letzten Good Luck Stelle des heutigen Tages. Wir paddelten weiter und versuchen die schnellste Stelle in der Strömung zu finden. Trotzdem überholen uns die beiden Boote wieder. Doch erst nach minutenlangen Bord an Bord Kämpfen. Aber durch das Problem am Salto Loida dürften sich die Boote gestaut haben, denn von hinten kam nichts nach. Auch hatte es zu regnen aufgehört, was die hügelige und bewaldete Landschaft wieder freundlicher erscheinen ließ.

Vor der nächsten Good Luck Stelle schauten wir nach Phil aus. Er wollte am rechten Ufer auf uns warten. Doch wir konnten ihn nicht ausmachen. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es nicht möglich war auf der rechten Flussseite flussaufwärts zu gehen. Phil wartete daher links auf uns, aber wir hörten und sahen ihn nicht. Also fuhren wir auf gut Glück hinunter. Gott sei Dank befanden sich viele der Steine unter Wasser und es war nicht zu schwierig auch diese Stelle erfolgreich zu befahren. Doch dann ist es passiert. Wir fuhren auf einen unter Wasser befindlichen Stein auf. Durch die Wucht rutschte das Kanu fast bis zur Bootsmitte auf den Stein hinauf. Wir versuchten das Gleichgewicht zu halten, und nicht zu kentern. Gleichzeitig versuchten wir aber auch mit Hilfe der Paddel und durch gleichzeitiges Rucken los zu kommen. Doch der Stein hatte eine Delle in den Bootsboden geschlagen und es war kaum möglich wieder frei zu kommen. Eine wahrlich dumme Situation. Wir versuchten vergeblich uns mit den Paddeln zu befreien, aber dadurch wurde das Boot durch die Strömung quer gestellt. Ein gefährlicher Moment. Der Hawkeye wurde plötzlich durch die Strömung angehoben und mit einem Ruck weiter getragen. Aber nur 10 cm bis zum Aluminiumkiel. Mit etwas Glück blieben wir im Boot, aber es wurde am Heck nach unten gedrückt, was uns ruckartig befreite und wir fuhren verkehrt die Stromschnelle hinunter. Um das Boot zu drehen hätten wir eine etwas ruhigere Stelle gebraucht, die mindestens 5 Meter breit sein sollte. Aber da unser technisches Können sowieso nicht ausreichte, ließen wir uns verkehrt hinunter tragen, und versuchten mit den Paddeln das Boot möglichst gerade zu halten. Das ging eine ganze Weile gut, aber dann fuhren wir frontal gegen einen Stein. Das Boot drehte sich sofort seitlich, und genau als es quer zum Fluss stand, fielen wir eine Walze hinunter und kippten. Beide mussten wir aussteigen. Ich versuchte aus dem Wasser zu kommen und nach Luft zu schnappen. Da pralle ich mit dem Rücken gegen einen Stein und verlor mein Paddel. Ich drehte mich im Wasser um und versuchte Grund unter den Füssen zu bekommen. Aber es wollte mir in der starken Strömung nicht gelingen. Also versuchte ich meine Beine in Fliessrichtung zu bekommen und mich auf den Rücken zu legen. Doch gerade als ich in diese Position kam, schoss ich zwischen zwei Felsen kopfüber in eine Walze. Ich versuchte panisch nach oben zu kommen, ohne genau zu wissen wo eigentlich oben war. Erst als die Luft knapp wurde, wurde auch mein Kopf wieder klarer. Ich machte die Augen auf und orientierte mich nach dem Licht. Schon war ich aus dem Wasser und holte tief Luft. Da tauchte eine Steinplatte vor mir auf und ich drücke mich mit den Armen hinauf. Ich war in Sicherheit. Es dauerte ein paar Sekunden bis ich wieder zu Atem kam. Erst dann sah ich mich um. Etliche Meter weiter unten schwamm unser Kanu wieder aufrecht im Wasser und ich sah auch Helmuts Schwimmweste. Er hängte am Kanu. Nur eine einzige Sekunde überlegte ich, dann ließ ich mich wieder ins Wasser und mit den Beinen voraus hinunter treiben. Bald merkte ich, dass es kaum mehr als einen halben Meter tief war. Ich sprang auf und versuche mit hohen Sprüngen schneller vorwärts zu kommen. Aber es war die falsche Entscheidung. Ich stolperte und fiel kopfüber ins Wasser. Wieder musste ich versuchen mich zu orientieren. Ich versuchte auf die Knie zu kommen, aber der Strom drückte mich nach vorne weiter. Also drehte ich mich um und stieß mit der Schulter gegen den nächsten Stein. Irgendwie kam ich wieder auf die Beine. Sofort versuchte ich in riesigen Sprüngen in Richtung linkes Ufer zu kommen. Dort lief ich im seichten Wasser weiter. Der Boden war sandig und ich kam gut voran. Da sah ich im Wasser mein gelbes Paddel. Es hatte sich zwischen zwei Steinen gefangen. Ein großes Glück im Unglück. Im Vorbeilaufen schnappte ich das Paddel und stürzte wieder, da es sich nicht so leicht lösen ließ. Abermals sprang ich auf, schnappte nach Luft und griff mir mein Paddel. Dann hastete ich weiter. Mit einem Auge am Boden, und dem anderen auf das Boot gerichtet, hechtete ich mit stechender Brust näher an das Boot heran. Es trieb seitlich von mir im tieferen Wasser. Ich konnte das Boot überholen, welches von Helmut, der sich nun aufgerichtet hatte, wieder in die richtige Lage gebracht wurde. In riesigen Sprüngen lief ich nun wieder ins tiefere Wasser. Zwei Meter vor dem Boot versuchte ich mit einem mächtigen Sprung den Hawkeye zu erreichen. Doch ich war zu kurz. Also sprang ich wieder auf. Das Boot war nun direkt vor mir. Ich warf das Paddel rein und hielt es fest. Es gelingt uns, es etwas aus der Strömung zu ziehen. Dann stieg Helmut ein. Bevor sich das Boot wieder quer drehen konnte hechtete ich mich ins Kanu und weiter ging es. Glücklicherweise war hier die Schnelle schon ziemlich vorüber und wir konnten uns erstmal von dem Unfall erholen. Ich war vollkommen außer Atem und hatte keine Kraft die Hände zu heben.

Wir trieben den Belize River hinunter und erholten uns ein wenig. Dann begannen wir wieder zu paddeln. Die Moral war etwas angeknackst. Alles war wieder verloren, so dachten wir. Es wurde uns nicht bewusst, dass uns der Unfall kaum drei Minuten gekostet hatte. Und viel wichtiger: Wir waren an einem Unfall vorbei geschrammt. Wir paddelten weiter. Als wir hinter uns ein Boot bemerkten verstärkten wir unsere Bemühungen. Wurden aber trotzdem nach einem heißen Wettkampf überpaddelt. Dies passierte uns noch ein paar Mal, bevor wir die Einfahrt ins Labyrinth des Guacanal Sumpfes erreichten. Dort auf einer Sandbank sahen wir Phil winkend auf uns warten. Wir legten an. Phil hatte auf eine Schwimmweste ein paar Notizen geschrieben, die uns eine gute Route nach Burrell Boom zeigen sollten. Phil erklärte mir seinen Vorschlag und stieß uns dann wieder kraftvoll ins Wasser. Wir nahmen wieder Fahrt auf und paddelten nach der nächsten Biegung in einen Nebenarm. Nach ein paar hundert Metern zweigte der Arm scharf nach links ab. Dies war in den Notizen verzeichnet. Wir folgten diesem Lauf und nahmen dann den rechten Arm. Er floss eher träge aber ziemlich gerade dahin. Wir wussten, dass es ist nur noch 5 km bis ins Ziel waren. In 30 bis 40 Minuten würde für heute alles vorbei sein. Wir legten uns noch einmal in die Riemen. Obwohl die Zeit nicht vergehen wollte, und die Muskeln immer mehr schmerzten, kamen wir dann doch schließlich an den Einfluss in einen Hauptarm. Ein paar hundert Meter weiter, sahen wir das Zieltransparent. Wir sahen auch ein Kanu 30 Meter vor uns. Also strengten wir uns nochmals an und versuchten unsere Gegner zu überholen. Wir kamen näher, doch als uns unsere Gegner hinter sich bemerkten, setzten auch sie neue Kräfte frei und zogen wieder davon.

Dann waren wir durch und landeten an. Müde kletterten wir aus dem Boot und schüttelten uns die Hände. Wir hatten auch den zweiten Tag überstanden, und damit alle Schwierigkeiten gemeistert. Am nächsten Tag waren keine besonderen Kriterien, welche uns Schwierigkeiten machen konnten zu erwarten. Die Flachwasserkanuten kamen nun auf ihre Rechnung. Wir nahmen die Paddel auf die Schulter und beteiligten uns an einer Diskussion mit etlichen anderen Konkurrenten. Alle schilderten von ihren Erlebnissen und was alles falsch gelaufen war. Dann hörten wir, wo wir untergebracht sind und wanderten mit etlichen anderen in eine kleine Zeltstadt. Es begann wieder zu regnen. Aber wir waren sowieso vollkommen nass und der Regen füllte sich erleichternd an. Ich war so müde, dass ich mich am liebsten sofort niedergelegt hätte. Aber ich war auch aufgeregt und glücklich. Etwas überdreht plauderten wir mit allen Leuten die uns über den Weg liefen. Auch unsre Konkurrenten waren gut gelaunt und gerne zu Diskussionen und Schilderungen bereit. Erst in der Dunkelheit trafen wir im Küchenzelt ein und aßen mit Begeisterung Steaks und Kartoffel. Mike und Phil waren auch wieder anwesend und wir diskutierten den heutigen Tag und was wir alles gut oder falsch gemacht hatten. Dann wurden die Zwischenstände bekannt gegeben. Wir gingen durch die Liste und fanden unsere Namen auf dem guten 29. Platz. In der D III Wertung waren wir die 5. Und immerhin waren noch 116 Boote im Rennen. Wir konnten mehr als zufrieden sein. Wir waren außerdem das drittschnellste Hawkeye Boot. Auch die Gesamtwertung schaute nun wieder ganz anders aus. Die Führung hatte jetzt der Vorjahressieger Carlos Lopez de Mendes übernommen. Nach wie vor hielt sich das Eigenbauboot des Duos Melchior/Gonzales an zweiter Stelle, während Sam Bone mit seinem Melville Werksboot nun die dritte Stelle erobern konnte. Die Brüder Smith waren nur noch siebente. Fuller schien überhaupt nicht mehr auf, was mit dem Aus des zweiten White River Werksbootes gleichzusetzen war.

Ich faltete die Liste zusammen und versuche sie irgendwie vor der Nässe zu schützen. Ich wollte sie als Souvenir mit nach Österreich bringen. Dann gingen wir durch das Routebook und die Karte. Wir mussten am nächsten Tag zuerst den Guacanal Sumpf überwinden, und dann den Belize River mit seinen vielen Schleifen hinunter paddeln um bei El Jimenez, ein Ortsteil von Belize City, das Ziel zu erreichen. 40 harte Meilen. Dies sind gute 60 km. Man musste mit ca. 7 bis 8 Stunden reine Paddelzeit rechnen. Eine Kraftprobe für jedes Team. Phil erklärte uns, dass sie nicht in Erfahrung bringen konnten, wie man am besten durch den Sumpf kam. Die Profiteams gaben diese Informationen nicht weiter, und auch die Einheimischen konnten keine sicheren Auskünfte geben. Unsere Taktik war deshalb an den drei knapp vor uns liegenden Booten so lange wie möglich dran bleiben und zu hoffen, dass sie den besten Weg durch den Sumpf kannten.

Bei viel Orangensaft und isotonischem Mineralwasser neigte sich der Tag zu Ende. Burrell Boom erlebte ein Volksfest mit lauter Musik, viel Rum. Und einem Feuerwerk. Doch wir wussten dies nicht zu schätzen, denn um 11 schliefen wir schon tief und fest.

11. März

Der erste Weg führte mich heute zum Arzt. Im Ambulanzzelt war ich einer der ersten und ich bekam neue Verbände. Auch wurden meine Prellungen gechecked. Dann schluckte ich ein paar schmerzstillende Pillen. Da sonst niemand im Massageraum war, lud mich der Masseur auf eine Massage ein, die ich gerne annahm. Meine Schultern waren vollkommen verspannt und ein gewaltiger Muskelkater plagte mich bereits. Um halb 8 trafen wir uns dann beim Frühstück. Es hatte zu regnen aufgehört und wir waren wieder voll motiviert. Aus der ursprünglichen "Durchkommen ist alles" Devise war jetzt ein großer Ehrgeiz entstanden. Wir wollten in die Top 5 der Division III.

Bereits eine Stunde später waren wir am Landungsplatz. Mit einem Gummihammer versuchten wir unseren Hawkeye wieder in Form zu bringen. Dann ein paar Aufwärmübungen, mehr Alibi als ernsthaftes Bemühen. Dann schauten wir Carlos zu, der als Spitzenreiter auf die dritte und letzte Etappe geschickt wurde. Vier Minuten dahinter folgte dann das belize-amerikanische Gespann von Melchior, dann die ersten Melville Werkspiloten aus den USA. Das alljährliche Quarter Mile Race wurde heuer nicht ausgetragen, da man ja auf den Massenstart auf Grund der großen Anzahl der Teilnehmer verzichtet hatte. Es sollte vielleicht erwähnt werden, dass das Rennen bereits eine kleine Historie hat. 1997 organisierte eine lokale Radiostation das erste "La Ruta Maya" um eine Reinigungsaktion des Flusses damit zu finanzieren. Richard Harrison, der Besitzer einer lokalen Orangensaftfabrik mit dem Namen "Big H Juices" war ein begeisterter Kanute und er sponserte diesen Bewerb von Anfang an. Heute ist es eines der größten Canadier Regatten der Welt.

Phil hatte sich in seinem Boot etwa einen km stromabwärts postiert und beobachtete dort die vorbei ziehenden Kanuten. Genau 10 Minuten vor unserem Start läutete Mikes Handy. Phil erklärte uns, wo die Profis durchgefahren waren. Dann ging es recht schnell. Wir kletterten in unser Boot. Auch diesmal mit der lästigen Spritzdecke. Aber sie soll heute in erster Linie gegen den Wind helfen. Dann wurden die drei Boote vor uns abgelassen. Und wir dann sechs Sekunden später. Direkt vor uns war ein kanadisches Duo mit einem Osagian. Ungefähr dreißig Sekunden davor zwei Amerikaner mit einem roten Clearwater. Und wieder dreißig Sekunden davor ein Division II Old Town Canadier, ebenfalls gesteuert von zwei Amerikanern. Nach hinten hatten wir gut zwei Minuten auf das schnellste deutsche Lettmann Boot. Dies war für uns eine Herausforderung. Wir merkten sofort, dass wir alle die gleiche Taktik hatten. Alle fuhren mit Höllentempo los. Wir konnten das Tempo unserer Vorfahrer nur deshalb halten, da Phil uns geraten hatte, bei unseren gelben Kunststoff Paddeln zu bleiben, und nicht wie viele andere auf die leichteren Beavertales zu wechseln. Wir blieben knapp hinter den Kanadiern, die wiederum versuchten näher an das rote Clearwater heran zu kommen. Dann kamen wir zu der Stelle die Phil uns geraten hatte um nach Norden abzuzweigen. Die Boote vor uns taten dies nicht. Ich wollte daher auch an den Kanadiern dran bleiben, aber da lenkte Helmut das Boot plötzlich nach Backbord. Wir paddelten in den Seitenarm und verschwanden rasch zwischen den Büschen. Ich stellte mir gerade vor wie die Kanadier staunen würden, wenn sie bemerken, dass wir verschwunden waren.

Wir paddelten mit verringerter Geschwindigkeit den träge fließenden Arm entlang. An einer Biegung sahen wir einen roten Stofffetzen am Schilfufer hängen. Wir fuhren daran vorbei und hielten uns auf dieser Seite des Seitenarmes. Nach zehn Minuten sahen wir wieder einen roten Stoff hängen. Genau an einer Gabelung. Wir nahmen diese Fahrrinne und paddelten weiter. Der Arm wurde nach zwanzig Minuten weiter und endete in einem See mit vielen flachen von Büschen bewachsenen Inseln. Direkt vor uns sahen wir die Reste eines roten Leibchens an einem Baum hängen. Wir paddelten dort hin. Doch als wir vorbei waren wussten wir nicht genau weiter. Wir sahen uns um und hörten einen Pfiff. Es dauerte eine Weile bis wir ein Boot vor uns ausmachen konnten. Phil winkte uns entgegen. Wir paddelten schnell auf ihn zu und er übergab uns unsere Karte mit einer genauen Positionsangabe. Dann zeigte er uns einige Baumwipfel am Horizont und erklärte, dass dort die Spitzenboote verschwunden waren. Dies musste in etwa eine rot markierte Stelle auf der Karte sein. Ab dort mussten wir uns dann alleine durchschlagen. Wir dankten ihm und paddelten weiter, während er wieder zurück fuhr.

Nach 30 Minuten hatten wir eine Insel, oder Festland mit hohen Bäumen erreicht. Wir wussten nicht wo es weitergehen sollte und ich versuchte mit der Karte einen Kanal zu finden. Aber die Realität schaute etwas anders aus. Da entdeckten wir rein zufällig einen Bambusstock im Schilf, der mit orangen Leukoplast umwickelt war. Wir paddelten dort hin und fanden einen fast zugewachsenen Wasserlauf. Doch durch die vor uns fahrenden Boote war das Schilf niedergedrückt. Es war relativ leicht der entstandenen Spur zu folgen. So ging es fast eine Stunde dahin. Wir schwitzen aus allen Poren. Und zu allem Unglück hatten uns Myriaden von Mücken entdeckt und versuchten irgendwo auf uns zu landen. Der Drang war fast unwiderstehlich die Mücken zu erschlagen und sich überall an den juckenden Stellen zu kratzen, aber ich versuchte mich auf die regelmäßigen Paddelschläge zu konsentrieren. Endlich nach einer unendlich langen und qualvollen Stunde öffnete sich das Schilf und ein Wasserlauf war wieder erkennbar. Kaum zehn Minuten später mündete er in einen viel breiteren. Die Mücken wurden weniger, da ein leichter Seitenwind aufgekommen war. Wir paddelten weiter. Helmut hatte sich inzwischen in kniende Stellung aufgerichtet und paddelte mit vermehrter Kraft. Ich spürte wie er das Boot weiter trieb. Nun versuchte auch ich mehr Kraft in meine Schläge zu investieren. Noch während ich darüber nachsinniere wie lange ich dies durchhalten würde, öffnete sich der Wasserlauf in einen großen See. Vereinzelt waren Baumgruppen zu sehen, die bis zu den Kronen im Wasser standen. Halb rechts vor uns sahen wir am Horizont ein Boot oder eine Plattform mit roten Fahnen. Wir wussten, dass es drei dieser Plattformen gab, die als Basis für die Helfer in ihren gelben Shirts dienten, und gleichzeitig auch als Orientierungs- und Servicestelle fungierten. Wir paddelten darauf zu und erkannten, dass dort gerade ein paar Boote lagen.

Als wir 20 Minuten später dort anlegten, waren die Konkurrenten bereits weg. Wir tranken ein paar Becher Orangensaft und fanden heraus wo genau wir gerade waren. Die freundlichen Leute erklären uns wo wir am besten weiter paddeln sollen und sie sprühten uns mit einem Mittel gegen die Gelsenplage ein. Als sich die Giftwolke verzogen hatte und wir wieder normal atmen konnten sprangen wir wieder ins Boot und paddelten in die angegebene Richtung weiter. Die nächsten 90 Minuten waren eine Mischung aus gegensätzlichen Gefühlen. Von hoch motiviert, über ein unendliches Wurstigkeitsgefühl, bis hin zur blanken Verzweiflung über die körperlichen Schmerzen die diese Tortur mit sich führte. Irgendwann aber erreichten wir einen breiten Wasserlauf, in dem wir auch wieder eine Strömung bemerkten. Kaum fünf Minuten später bogen wir um eine Ecke und erkannten, dass wir wieder in einen Fluss einmündeten. Nun hielten wir Ausschau, ob wir vor uns irgendwo die Brücke der Interstate sehen konnten, die das Ende des Sumpfgebietes kennzeichnet. Und da sehen wir sie auch schon cirka 2 km vor uns. Wir paddelten auf sie zu und hielten uns ziemlich weit rechts. Mike wollte uns dort erwarten und uns zum letzten Mal Tipps geben. Wir sahen ihn schon von weitem. Er rief uns zu, dass wir phantastisch liegen würden und unter den Top 20 seien. Keine Schwierigkeiten mehr auf den verbleibenden 22 Meilen zu finden seien, und er uns alles Gute wünsche. Und schon waren wir unter der Brücke durch.

Nun kam die Strecke die von vielen Konkurrenten als die Härteste bezeichnet wurde. Hier war der Belize River bereits an die 100 Meter breit und floss eher träge mit cirka 5 bis 6 km pro Stunde dem Meer zu. Hier zählte nur noch die rohe Muskelkraft, gepaart mit exzellenter Paddeltechnik. Helmut kniete wieder und ich saß und benutzte meine Bauchmuskulatur um meine Paddelschläge direkt auf das Boot und in Geschwindigkeit umzulegen. Wir hatten bereits im Vorfeld ausgerechnet, dass wir für diese Strecke um die drei ein halb Stunden brauchen würden. Eine endlose lange Zeit. Jedoch waren wir wieder hoch motiviert. Wir paddelten in langen und kräftigen Zügen. Durch die breiten Paddelblätter wurde jeder Stoss in Geschwindigkeit umgelegt. Nachteil jedoch war, dass dies bald sehr anstrengend wurde. Bereits nach dreißig Minuten merken wir, dass unser Rhythmus immer langsamer wurde. Wir drehten uns um, aber sahen noch keinen Konkurrenten. Nach einer weiteren halben Stunde taten mit die Arme weh und ich versuchte mich krampfhaft auf etwas anderes zu konzentrieren. Aber auch die wellige Uferlandschaft mit tropischen Wäldern und Plantagen, erschien mir nicht sehr interessant, und vor allem kaum abwechslungsreich. Als ich mich nach einem Zuruf von Helmut umdrehte sah ich kaum 100 Meter hinter uns ein blau-gelbes Kanu auftauchen. Ich erkannte diese Kanus. Es war eines des frankokanadischen RCCA Teams, welches mit drei Division II Booten am Start war. Und alle drei waren vor uns gelegen. Natürlich versuchten wir sofort unsere Geschwindigkeit zu erhöhen, aber trotzdem kamen die Kanadier schnell näher und zogen an uns vorbei. Wir sahen ein, dass wir auch gar nicht versuchen brauchten, ihnen zu folgen. Kurz darauf tauchen wieder zwei Kanus auf und auch sie zogen an uns vorbei. Wieder versuchten wir vergeblich uns anzuhängen. Nach 10 Minuten brachen wir ab, da es uns an Kraft fehlte.

Durch diese Überholmanöver verging die Zeit und wir waren irgendwie dankbar dafür. Schon bald tauchte wieder ein Boot auf. Es war ein Hawkeye. Selbe Type wie unser Boot. Zwei Leute, die wir nicht kannten knieten darinnen und zeigten uns wie man wirklich einen Canadier fährt. Dadurch wurde uns glasklar, dass nicht das Boot der Grund für die fehlende Geschwindigkeit war, sondern unsere nicht vorhandenen Kräfte. Aber wir fanden uns damit ab und paddelten tapfer weiter. Noch mehrmals mussten wir Boote vorbei ziehen lassen. Irgendwann war die Moral dann auch ziemlich am Boden und ich überlegte warum ich eigentlich wie ein Wilder paddelte, obwohl wir ja ursprünglich nur durchkommen wollten. Ich war kurz davor, vorzuschlagen uns einfach treiben zu lassen, aber da sah ich den stoischen Blick von Helmut, der Schweiß der ihm vom Kien tropfte, und den Grinser den er für mich übrig hatte. Auf seine kurze Frage "Na, was is?" konnte ich nur mit der Frage "Zeigen wir's ihnen nochmals?" antworten. Und augenblicklich wurden wir auch wieder schneller. Fünf Minuten später verfluchte ich mich innerlich, aber ich ließ mir meine Schmerzen nicht anmerken. Da fiel mir wieder ein, dass wir mit unseren Paddeln einen viel langsameren Rhythmus paddeln konnten, wie die Beavertale Benutzer. Also blickte ich auf meine Uhr und fing an, die Paddelschläge zu zählen. Ich kam auf 21 pro Minute. Kurz darauf zählte ich wieder um sicherzustellen, dass meine Rechnung stimmte. Dann begann ich aufs Neue, nur um mich zu vergewissern, dass ich nicht langsamer wurde. Irgendwann begann ich dann hochzurechnen, wie viele Paddelschläge ich auf dieser Tour insgesamt gemacht hatte. Dann überlegte ich, um wie viele mehr ein Beavertale benötigte. Schließlich überlegte ich mir, nach wie vielen Schlägen ich am besten einen Switch, also einen Handwechsel vornehmen sollte. Während dieser Überlegungen verging wieder wertvolle Zeit. Es war vier vorbei und ich erwartete, dass wir um ca. 5 Uhr unser Ziel erreichen sollten.

Natürlich hatten uns noch ein paar Boote überholt. Wir ignorierten das aber, und versuchten gar nicht uns anzuhängen. Da plötzlich tauchte ein Boot hinter einer Biegung vor uns auf. Wir konnten es nicht glauben, aber es sah so aus, als ob wir einen unserer Konkurrenten näher gekommen waren. Auch Helmut hatte ihn gesehen, und wir erhöhten unsere Frequenz wieder. Langsam kamen wir näher. Es war ein silbernes Kanu. Nach 15 Minuten glaubte ich die Italiener erkennen zu können. Nach weiteren 10 Minuten waren wir auf 100 Meter ran und sahen, dass die beiden Piloten einen langsamen Rhythmus paddelten. Es war wirklich, dass Masters Boot von Gianni Bertolotti. Ein Melville Werkskanadier. Endlich hatten wir sie eingeholt und fragten was los sei. Sie gaben uns zu verstehen, dass sie einfach am Ende der Kräfte waren. Wir grinsten kurz und versuchten dann wieder auf Druck zu paddeln. Die Italiener folgten uns. Wir wollten unbedingt weg, um sie nicht ins Ziel zu ziehen, aber auch wir waren schon mehr als müde. Aber da sahen wir vor uns noch ein Boot. Bald kamen wir näher und erkannten den Black Crow des Duos McGrath/Singh. Wir holten auch sie ein und sahen, dass Colin McGrath schweißüberströmt vor sich hin paddelte, während sein Gefährte nur sehr müde Schläge machte. Singh sagte kurz, dass er hohes Fieber hätte und eigentlich das Rennen schon aufgegeben hätte. Dann waren wir vorbei und setzten zu einen Zwischensprint an, wahrend die Italiener mit den Amerikanern ein paar Worte wechselten. Es gelang auch uns ein paar hundert Meter von den Melville Leuten abzusetzen. Aber die Freude war nur von kurzer Dauer. Von hinten tauchte ein weiteres Boot auf, welches uns überholte. Es war inzwischen fünf geworden und ich suchte nach dem Ziel. Aber außer ein paar Ansiedlungen war nicht viel zu sehen. Dann endlich die 3-Meilen Markierung. Noch einmal legten wir uns ins Zeug. Es war auch notwendig, denn hinter uns sahen wir zwei weitere Boote. Dann wieder eine Krümmung des Flusses und wir sahen eine Brücke mit mehreren Pfeilern vor uns. Die Swing Bridge von El Jimenez, einem Vorort von Belize City. Dies war das heutige Etappenziel. Und nun verdoppelten wir unsere nicht mehr vorhandenen Kräfte, und waren knapp daran zu kentern. Mit hoher Taktzahl gingen wir auf die letzten Meter und unter dem Jubel von hunderten Zuschauern fuhren wir noch 50 Metern vor dem ersten Verfolger durchs Ziel. Wir wendeten und kämpften gegen die Strömung zur Anlandestelle. Fast hätten wir es nicht mehr geschafft und als uns endlich einer der gelben Helfer aus dem Wasser zog und vertaute, konnte ich meine Hände nicht mehr heben. Mit zitternden Beinen kletterte ich aus dem Kanu und Helmut und ich fielen uns in die Arme. Das Ende eines tollen Abenteuers. Aber wiederholen wollte ich es nicht.

12. März

Mit dem Bus waren wir schon in der früh nach Belmopan gefahren und waren dort einige Stunden vor unseren Rückflug am internationalen Flughafen eingetroffen. Nun konnten wir endlich realisieren, was wir in diesen paar Tagen erlebt hatten. Es war auch genug Zeit bei ein paar Heneken die Ergebnisliste durchzustudieren und noch einmal das ganze Abenteuer an Hand des Roadbooks durchzugehen.

Am gestrigen Abend waren wir zu erledigt gewesen um dies zu tun. Wir gingen mit unseren kanadischen Freunden Abendessen, und sie machten noch ein Interview für eine amerikanische Fachzeitschrift in unserem Namen, aber dann gab es einen ehrlichen Abschied und wir zogen in unser Hotelzimmer. In jenem Hotel wurde später auch die Siegerehrung abgehalten. Wir nahmen eine Dusche tranken viel Orangensaft und gingen dann zur Siegerehrung. Es war gerammelt voll, als die ersten drei Paare jeder Kategorie aufgerufen wurden. Wie Erwartet waren wir nicht dabei. Als wir dann Kopien der Ergebnislisten bekamen waren wir trotzdem stolz auf unsere Leistung. Wir wurden gesamt 28. und in der Division III Wertung immerhin gute 4. Leider waren die drei Boote vor uns ebenfalls reine Männerbelegschaften, sodass wir nicht geehrt wurden. Aber wir hatten auch viele Division II Boote hinter uns gelassen, und auch drei Masters Boote waren hinter uns klassiert. Noch zwei solche Resultate und wir dürften in der Division II antreten. Aber es war uns sehr klar, dass wir nur dank unseres Glücks und dem Coaching von Mike und Phil soweit vorne gelandet waren. Nicht unser Können sondern das Glück und vor allem der Informationsvorsprung hatte uns sehr geholfen. Außerdem wollten wir weder Familie noch unseren Schutzengel herausfordern, und noch einmal eine solche Geschichte wie diesen Belize Contest ernsthaft angehen. Dazu fühlten wir uns im Moment viel zu alt und zu müde.......

August 2003 - GuenterDollhaeubl

Die Geschichte ist basierend auf dem La Ruta Maya River Challenge Kanu Rennen welches jedes Jahr im März in Belize stattfindet. (der Autor)