KanuKanu

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Wieder einmal hatte es mich nach Westnorwegen ans malerische Lusterfjord verschlagen. In der kleinen Ortschaft Luster am Campingplatz Dalsoeren hatte ich schon mehrere Urlaube verbracht. Dort scheint die Welt einfach noch in Ordnung zu sein. Auch dieses Mal hatte der Wettergott der Nordländer Erbarmen mit uns Mitteleuropäer gezeigt und die Sonne schien schon seit Tagen vom strahlend blauen Himmel. Da ich diesmal mein Kanu mitgebracht hatte, beschlossen mein Cousin Stephen und ich an diesem herrlichen Nachmittag fischen zu gehen. Wir paddelten ein paar hundert Meter auf das Meer hinaus, nahmen unsere Angeln und begannen auf Dorsche zu fischen. Es war kein erfolgreicher Tag, aber die schöne Landschaft, die silbern glänzenden Wasserfälle an den steil aufragenden Hängen der Berge die das Fjord umschließen, sowie die angenehme Brise die unsere Nasen umwehte, ließ uns trotzdem ein paar schöne Stunden verbringen. Das Boot driftete dem inneren Fjordende zu, also keine Gefahr für uns. Nach cirka drei Stunden am Meer, begannen die Wellen höher zu werden und der Wind frischte ein wenig auf. Da unser Kanu nicht unbedingt für rollende Meereswellen gebaut wurde, beschlossen wir zurück zu paddeln. Nach 20 langen Minuten kräftigen Paddelns mussten wir erkennen, dass wir nicht von der Stelle gekommen waren. Wind und Abdrift waren zu stark. Uns wurde klar, dass wir auf diesem Wege kaum auf unseren Ausgangspunkt zurückkommen konnten. Also machten wir das für uns einzig Logische und paddelten direkt auf das Ufer zu. Trotz der hohen Wellen gelang es uns das Boot ohne jeglichen Schaden an Land zu setzen. Jedoch war die kleine Bucht in der wir landeten von Felsen umgeben, und der einzige Weg zurück führte über die Böschung hinauf auf die Küstenstrasse. Lächerliche 15 Meter über uns konnten wir die Leitschienen dieser Strasse erkennen. Aber manchmal können 15 Meter ein Alptraum sein. Ich möchte die Flüche und Schimpfworte nicht wiederholen müssen, die wir von uns gegeben hatten, als wir keuchend das Kanu Meter für Meter über die steile Böschung hinauf zogen und schoben. Schließlich aber waren wir oben und hoben das Kanu über die Leitschiene der schmalen Strasse. Mit keuchenden Lungen und zittrigen Muskeln machten wir erst einmal eine Pause. Als wir uns so halbwegs erholt hatten, nahmen wir das Boot auf und trugen es zurück in Richtung Campingplatz. Dieser war zwar keine zwei Kilometer entfernt, aber bereits nach 200 Meter glaubten wir unsere Arme würden uns abfallen. Also nahmen wir das Kanu über Kopf. Das ging viel besser. Wir marschierten entlang der kaum befahrenen Strasse zurück nach Luster. Aber hinter der nächsten Ecke tauchte ein Tunnel auf, welches wir total vergessen hatten. Da wir keine andere Möglichkeit hatten, marschierten wir schnurgerade durch das unbeleuchtete, kaum zweispurige, dunkle, cirka 300 Meter lange Tunnel. Obwohl wir uns im Laufschritt durch das dunkle Tunnel rannten, die Lungen brannten, und uns der Schweiß in Strömen von Stirn und Nacken lief, passierte was passieren musste. Gerade als wir mitten im Tunnel waren, konnten wir ein Auto hinter uns hören. Das Geräusch kam rasch näher, jedoch konnten wir uns nicht umdrehen, ja nicht einmal umschauen. Es war der Milchtransporter der des Weges kam. Glücklicherweise erkannte der Fahrer das seltsame Hindernis rechtzeitig und bremste rechtzeitig.

Es musste ein äußerst komischer Anblick gewesen sein, als bei Luster ein Kanu auf zwei Beinen aus dem Tunnel marschierte. Dahinter der Milchtankwagen, gefolgt von ein paar anderen Autos. Eine wahrlich ungewöhnliche Prozession. Und die Einheimischen werden ihre Meinung von den Touristen, die da aus dem Süden kommen, als bestätigt sehen. Stephen und ich lachen noch heute darüber, was wir seinerzeit unter dem Begriff "Kanuwandern" verstanden hatten ...

-- GuenterDollhaeubl, Juni 2003