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Erzählt von Günter Dollhäubl

August 2007

Es ist unglaublich wie die Zeit vergeht. Vor einer Woche haben wir hier auf unserer Berghütte in Hadeland den 7. Geburtstag von Kenny gefeiert. Keine große Feier. Nur Familie und ein paar Nachbarn. Aber er hat sich trotzdem sehr gefreut. Noch nicht ganz Teenager, hat ihm dieses Ereignis aber wieder einen Schub vorwärts gegeben. Und es war auch nicht notwendig ihn zu überreden, eine längere Kanutour auf der Vaja Groa Seen Platte zu machen. Nur er und ich – eine Männerpartie sozusagen.

Damit daraus keine Enttäuschung entstehen würde, habe ich auch einige Vorbereitungen getroffen. Alles Wichtige, wie Angelausrüstung, Taschenlampe, Pfeile und Bogen, sowie Kompass und Taschenmesser zusammengesucht, bzw. hergestellt. Ein paar Tage davor haben wir uns auch indianische Kriegsnamen ausgedacht, und am Abend habe ich eine genaue Karte des Gebietes auf gelbes, pergamentähnliches Papier gezeichnet. Dann am 14. August, ein recht sonniger Dienstag war es so weit. Boot aufs Dach (puh, man wird auch nicht jünger…), Ausrüstung ins Auto rein, und ab ins Zielgebiet.

Gleich der erste mögliche Zeltplatz am Ufer des großen Sees scheint ideal zu sein. Wir schauen uns dann auch noch weitere an, aber entscheiden uns für die erste Möglichkeit. In Serva bezahlen wir Weggebühr und Angellizenz und fahren dann zurück zum Zeltplatz. Dort hole ich mit etwas Mühe das Boot vom Dach (warum werden die Dinger nur immer schwerer?) und dann bauen wir unser Zelt auf.

Obwohl sonnig und nur einzelne Wolken am Himmel geht ein recht strammer Wind von Süden her. Aber wir sind beide heiß aufs paddeln, packen alles was uns wichtig erscheint ins Boot und machen uns auf. Ich entscheide in Ufernähe zu bleiben, und wir paddeln dem linken Seeufer entlang, Richtung Osten. Zwischendurch pausieren wir, machen Fotos oder fischen. Der See ist wunderschön in Wäldern eingebettet. Hin und wider sehen wir eine Hütte zwischen den Bäumen. Mitten im See eine winzige Insel auch mit einer Hütte darauf. Ein guter Orientierungspunkt. Eine Stromleitung erzählt uns, dass wir das östliche Ufer erreicht haben. Nun geht es gegen den Wind in den Süden. Schön gemütlich – Schlag auf Schlag. Zeit zum nachdenken. Zeit sich darüber klar zu werden, wie wunderbar es ist das Gefühl der Freiheit zu kennen. Und auch das Gefühl mit dem Sohn durch eine gemeinsame Leidenschaft verbunden zu sein. Vater und Sohn – in einem Boot. Eine Erfahrung die schöner nicht sein kann… Das Boot klatscht immer wieder auf die von vorne kommenden Wellen, aber Kenny scheint dies Spaß zu machen. Er hat eben schon einige Stunden an Erfahrung im Kanu. Schön ihm zuzusehen…

Wir hatten bereits auf unserer Hütte eine alte Blechbüchse okkupiert, in der meine Schwiegermutter Tee aufbewahrte, und sie zu einer Schatzkiste umfunktioniert. Neben Schokoladegoldmünzen, „Edelsteine“, Spielzeugautos, und anderen Wertsachen, enthält sie auch Name und Adresse von Kennet, der sich den Kriegsnamen „Schwarze Feder“ zugelegt hatte. Wir waren nun ausgezogen, diese Schatztruhe so wie es sich gehört, auf einer Insel zu vergraben. In der östlichen Mitte des Vajasees, dort wo es Richtung Groa See offen ist, gibt es eine Reihe von größeren und kleineren Inseln, die wir ansteuern. Schließlich landen wir an einer an und gehen an Land. Dort suchen wir uns eine geeignete Stelle und graben ein kleines Loch in den dichten Teppich von Heidelbeersträuchern und Moosen. Dann vergraben wir feierlich die Schatzkiste. Kennet beseitigt alle Spuren, so dass ich jetzt schon bezweifle, dass wir den Schatz jemals wieder finden werden. Natürlich zeichnen wir noch einen genauen Lageplan, bevor wir wieder zum Boot zurückgehen. Als wir aus dem Wald zum See kommen sehen wir eine schwarze Wolkenwand die aus dem Süden auf uns zukommt. Wir holen unsere Regenumhänge aus dem Rucksack und machen uns auf den Rückweg. Die Weiterfahrt in den Groa See haben wir sofort auf den nächsten Tag verschoben, als wir sahen wie schnell die Wolkenwand auf uns zukommt. Minuten später beginnt es zu regnen und wir ziehen unsere Umhänge über. Während wir noch im Windschutz zweier Inseln Schaum gebremst dahin paddeln sehe ich schon die weißen Schaumkronen auf dem fast schwarzen Wasser des Sees. Der Wind hat also noch zugelegt. Ich muss nun entscheiden welche Route zurück wir nehmen sollen – oder wäre die bessere Entscheidung auf einer Insel den Sturm abzuwarten? Natürlich treffe ich punktgenau die falsche, aber furchtlose, und daher männliche Entscheidung. Wir paddeln zurück. Quer durch den aufgewühlten See, oder in Ufernähe, aber dafür viel weiter. Und nicht zu vergessen die Felsen die in Ufernähe knapp unter der Wasseroberfläche sind, aber bei dem Wellengang gefährliche Rammsteine sein können. Das aufkommende unangenehme Gefühl durch hohe Wellen quer über den See zu paddeln und mehr und mehr Wasser zu schöpfen drängt in Richtung der zweiten Variante. Aber mein Verstand sagt mir, dass Seeufer genau so hohe Wellen haben, keinen Schutz bieten, und dazu unbekannte Untiefen ein kentern noch wahrscheinlicher machen. Bevor ich noch zu einer Entscheidung kommen konnte, waren wir schon aus dem Windschutz unserer Insel und auf dem ungeschützten See. Der fallende Regen kommt mehr und mehr waagrecht daher. Ich schlage nordwestliche Richtung ein, da der gerade Weg nach Westen zu gefährlich war, da die Wellen direkt aus dem Süden das Boot auf der vollen Breitseite trafen. So kommt die Wucht der Brecher von links hinten, was aber ein kontrollierbares Problem darstellt. Ein Blick auf Kennet zeigt mir, dass er den Ernst der Situation erkannt hat. Er ist auffällig ruhig und paddelt entschlossen vor sich hin. Schnell hat er heraußen was er tun muss um mir zu helfen das Boot in der gewollten Richtung zu halten. Da der Wind aber in Böen kommt, wird das Kanu immer ruckartig in den Wind gedreht. Zusätzlich drückt mir der Sturm die Regenkapuze ins Gesicht und ich muss halb blind paddeln. Ich kann den Paddelschlag nicht unterbrechen, ohne die Richtung zu verlieren, aber irgendwie muss ich die Kapuze wegbekommen. Ich reiß sie runter und spür sofort wie sich der Regen im Nacken sammelt und unter den Regenumhang dringt.

Wir schaffen, dass Boot in der Richtung zu halten und nicht all zu viel Wasser zu schöpfen. Doch der Regen wird immer dichter und das Boot füllt sich langsam und stetig auch durch Regenwasser. Ich brülle Kennet durch den Sturm zu, sich möglichst nicht zu bewegen, um das Aufschaukeln des Wassers im Boot in Grenzen zu halten. Jedoch schaukeln die Wellen das Boot auf und ab, und es ist fast eine Kunst mit dem Hintern nicht automatisch eine Gegenbewegung zu machen, welche aber fatale Folgen haben könnte. Trotz der Anstrengung habe ich eiskalte Füße. Kein Wunder, das Wasser reicht bereits über die Turnschuhe. Langsam überlege ich was wir im Fall des Kenterns tun sollen. Kennet hat eine Schwimmweste, und auch ich habe meine beim Aufbruch von der Insel angezogen. Aber das Boot hat keine Auftriebskörper und wäre verloren. Wir müssten mit dem Wind an Land schwimmen und hoffen, dass das eiskalte Wasser uns nicht unterkühlt. Und falls wir an Land kommen, müssten wir dann auch den Weg zurück ins Camp finden - und dies rasch. Als erstes ziehe ich Schuhe und Socken aus, die mich beim Schwimmen sicherlich behindern würden. Und dies möglichst schnell und ohne Hände. Kennet brauchte keine Anweisungen. Er sitzt auf seiner Bank, unter seinem gelben Umhang und paddelt entschlossen vor sich hin. Kein Protest, kein jammern. Wir können den Kurs auch recht gut beibehalten, und erreichen so das Nordufer an der Spitze einer Halbinsel. Links von uns können wir im Grau des Regens die kleine Insel mit der Hütte erkennen. Bevor ich nun überlegen konnte, wie wir das Boot gegen Westen drehen können, ohne sofort die Wellen auf der gesamten Breitseite zu bekommen, merke ich, dass der Wind im strömenden Regen stark nachgelassen hat, und die weißen Schaumkronen auch so ziemlich verschwunden sind. Wir drehen das Boot und steuern das Westufer an. 10 Minuten später sind wir zurück im Camp. Trotz Umhang nass und fröstelnd, aber glücklich über den glimpflichen Ausgang unseres kleinen Abenteuers. Kaum zu glauben, dass diese Überfahrt nicht länger als eine halbe Stunde gedauert hat. Wir rubbeln uns gegenseitig mit Handtüchern trocken und sehen wie sich die Sonne zwischen den abziehenden Wolken wieder zeigt. Um den Körper aufzuwärmen spielen wir eine Runde Fußball. Die Sonne kommt wieder und bald sind wir trocken.

Eine Stunde später ist alles vergessen. Wir leeren das Wasser aus dem Boot und magazinieren für eine weitere Fahrt auf. Es ist erst 4 am Nachmittag. Diesmal entscheiden wir uns am Westufer entlang nach Süden zu paddeln. Dies bedeutet zwar Gegenwind, aber dafür würde die Rückfahrt einfach sein. Gemütlich paddeln wir am Ufer entlang. Beobachten die Natur und genießen das herrliche Panorama. Wir fotografieren Seerosen und winzige Inseln. Einzelne Hütten dienen uns als Orientierungspunkte. Endlich taucht auch das Hüttendorf Serva auf. Unser Ziel ist die Straßenbrücke die hier das Gebiet kreuzt. Wir können sie nicht sehen, aber wissen dass sie in einer der Buchten zu finden sein sollte. Doch noch bevor wir sie sehen, werden wir durch ein rauschen aufmerksam. Wir vermuten einen Wasserfall, was kurz darauf auch bestätigt wird. Also landen wir an, und gehen an einigen Hütten vorbei zum Fall. Wir erkennen, dass ein ca. 2 Meter hohes Wehr den Vaja See von Serva See trennt. Doch für heute haben wir genug gepaddelt und wollen diesen weiteren See nicht mehr erkunden. Wir machen uns auf den Rückweg. An einem Steg legen wir nochmals an, legen uns in die Sonne und trinken etwas. Wieder tauchen einige dunkle Wolken auf, die uns daran erinnern, langsam an die Rückfahrt zu denken. Der Wind treibt uns genau in den Norden, Wir nehmen unsere Angeln und beginnen zu fischen. Leider ohne Erfolg. Nach einer Weile wird dies dem Kennet zu fad und er beginnt wieder zu paddeln, während ich weiter mein Glück versuche. Erst auf Höhe der großen Insel die wir passieren müssen, helfe ich auch wieder mit und wir kommen rasch zum Lager zurück. Um 8 ziehen wir das Boot an Land. Die Sonne ist hinter den Bergen verschwunden und es ist ziemlich kalt.

Wir essen zu Abend, hungrig wie die Panther. Aber es kommt bei dieser Kälte keine Stimmung auf. Also packen wir Tisch und Sessel wieder weg, putzen im See die Zähne und klettern mit klammen Fingern und eiskalten Füssen in unser Zelt. Im Schlafsack lesen wir noch kurz bis es zu dunkel wird. Die versprochene Geschichte über Pierre Radisson brauche ich nicht mehr erzählen, meine tapfere „Schwarze Feder“ ist bereits eingeschlafen. Kurz darauf schlafe auch ich. Paddeln macht eben sehr müde.

Nachts werde ich öfters wach. Zuerst will das Bier aus meinem Körper, dann kommt eine Herde Schafe mit ihren Glocken vorbei, schließlich frischt der Wind wieder auf und bringt das Vorzelt zum flattern. Doch im Schlafsack ist es warm und wir können uns erst kurz vor 9 zum aufstehen durchringen. Inzwischen hat Regen eingesetzt und wir wollen beide nicht im Freien frühstücken.

Wir studieren die Karte und finden noch viele interessante Teile dieser Seenplatte, die wir gerne erforscht hätten. Doch nach einem Rundblick ist die Entscheidung sehr leicht. Wir wollen das Unternehmen hier abbrechen und auf unseren nächsten Besuch in Norwegen verschieben.

Neben der Erkenntnis, dass nichts das Vater und Sohn Verhältnis besser bindet, als ein gemeinsam bestandenes Abenteuer könnte man unseren Ausflug wie folgt rekapitulieren. Die Vaja Groa Seenplatte ist ein schöner Tagesausflug für die ganze Familie. Kaum spektakulär, aber landschaftlich recht reizvoll. Für Fischer ein kleines Paradies. Sicherlich aber nur einen Umweg wert, wenn man sowieso in der Nähe ist. Oder man verbringt einen Campingurlaub dort ...