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Eine Kurzgeschichte von Günter Dollhäubl

Warst du schon in der Stadt der Engel? Ja? Oder vielleicht doch nicht? Es kann bei dieser Frage leicht zu Missverständnissen kommen, da zwei bedeutende Städte dieser Welt jeweils diesen Namen tragen. Einerseits Los Angeles in den USA, andererseits Bangkok in Thailand. Nur Wenige wissen, dass das heuer 220 Jahre alt werdende Bangkok übersetzt ebenfalls „Stadt der Engel“ bedeutet – und dies in einem 90 % buddhistischem Land. Mancher, der nun diese Stadt kennt, wird verschmitzt mit dem Kopf nicken und verständnisvoll an Bangkoks Engel denken. Aber diese Stadt hat noch viel mehr zu bieten. Sie ist eine einzigartige Symbiose einer hektischen, übermotorisierten Großstadt mit einer durchaus traditionellen, friedvollen, und einzigartigen Kulturmetropole. Sie ist friedvoll und hektisch, unüberschaubar und doch provinziell, wunderschön und schmutzig, und wird bevölkert von stets lächelnden Menschen. Diese Stadt ist zu jeder Zeit einen Besuch wert. Und spätestens beim zweiten Blick fühlt man sich in ihr wohl und mit ihr verbunden. Sowohl beruflich als auch auf Urlaubsreisen hat mich mein Weg immer wieder nach Bangkok geführt und es war immer ein Erlebnis.

Aber was hat dies alles mit Kanu fahren zu tun? Eine gute Frage. Lasst mich ein paar Jahre zurückgehen…

Ich glaube es war 1993, als ich mit meinem Freund Mario ganz spontan auf einen vorweihnachtlichen Einkaufsbummel nach Bangkok flog. Ganz ohne Gepäck, in Shorts und Sandalen. Für den Taxifahrer der uns zum Flughafen brachte, ein wahrlich komischer Anblick. Die grünen Feen der Eva Air hatten uns ganz toll verwöhnt und sicher hingebracht. Nach zwei Tagen intensiven Shoppings hatten wir die Weihnachtsgeschenke für die Familie beisammen und auch die dafür notwendigen Koffer erstanden. Dann stießen Herbert und Renate, zwei gute Freunde zu uns, die gerade von einer Abenteuerreise aus Nordthailand zurückkamen. Gemeinsam versuchten wir die schönen Seiten Bangkoks zu entdecken.

An einem Morgen hatten wir ein zeitiges Frühstück und wurden dann von einer gemieteten Limousine und einer Führerin abgeholt. Wir wollten den berühmten, weil auch letzten authentischen schwimmenden Markt besuchen. Dieser befindet sich in einem Dorf namens Damnoen Saduak, zwei Autostunden westlich von Bangkok. Natürlich gibt es auch in Bangkok einen schwimmenden Markt. Dieser befindet sich im Stadtteil Thonburi, ist aber bereits sehr kommerzialisiert. Darum auch nicht empfehlenswert. Da alles recht gut geplant war, erreichten wir die Gegend bereits recht zeitig am Vormittag. Da die Strasse nicht in den Ort führt werden die Besucher und Touristen üblicherweise auf einem großen Parkplatz empfangen, und mit den berühmten thailändischen Longtail Booten in das Dorf gebracht. Doch wir als alte Kanuten wollten dies auf die ursprüngliche Weise machen. Im Kanu. Das thailändische Kanu besteht aus Holz, ist etwa vier Meter lang, 1 bis 1.20 breit und wird mit einem Stechpaddel angetrieben. Man nennt dieses kleine, leichte Boot Sampan. Wir mieteten uns also drei dieser Boote, da man uns alleine nicht paddeln lassen wollte, und begaben uns auf den Weg. Obwohl es erst kurz vor neun am Morgen war, war es bereits recht feucht und schwül. So gesehen waren wir froh, dass die Hauptarbeit im Boot von unseren Bootsführern gemacht wurde. Während der Fahrt bemerkten wir erst, dass wir eigentlich keinen Fluss entlang paddelten, sondern künstlichen Kanälen, die auf Thai Klongs genannt werden. Durch den Schilf- und Pflanzenbewuchs der Ufer war eine Orientierung vollkommen unmöglich. Auf die Ufer konnten wir nicht hinauf sehen, so paddelten wir mit dem optischen Gefühl mitten in einem asiatischen Dschungel zu sein. Hin und wider kamen wir an auf Pfeilern stehenden Wohnhäusern vorbei, auf denen es schon recht betriebsam zuging. Da diese Häuser auf Grund der Hitze die Vorderwände offen haben, kann man das Familienleben der dort ansässigen Bevölkerung recht gut beobachten. Durch das langsame vorbei gleiten des Kanus war es sogar möglich Kontakt aufzunehmen. Ein echtes Muss für jeden ethisch Interessierten. Wir hatten am Tag zuvor bereits eine Rundfahrt auf dem großen Fluss Chao Phraya und durch Bangkoks Klongs gemacht, und auch dort die Möglichkeit gehabt einen Blick auf die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung zu werfen, aber durch die Geschwindigkeit der Motorboote war dies nur ein flüchtiger Eindruck gewesen. Heute glitten wir fast lautlos an den Häusern vorbei und konnten Frauen beim kochen und Wäsche waschen beobachten. Kinder die uns zuwinkten und voller Freude in das madig braune Wasser hüpften, oder sich darin die Zähne putzten. Und alle winkten und lachten. Die sprichwörtliche thailändische Freundlichkeit. Ein echt tolles Erlebnis für uns alle. Später wurde es dann ungemütlicher, denn die Longtail Boote brachten die ersten Touristen, und in ihren Bugwellen schaukelten unsere Sampans recht gefährlich auf dem braunen Wasser. Jedoch bemerkte ich, dass sie dank ihrer schüsselförmigen Bauweise trotz der niedrigen Bordhöhe auch bei großen Wellen kaum Wasser schöpften. Als wir uns Damnoen Saduak näherten, wurden die Kanäle breiter und auch andere Sampans bewegten sich in unserer Richtung dem Ort zu. Dann nach einer Biegung tauchten die ersten, auf Pfeilern gebauten Häuser auf, und wir waren plötzlich mitten drin im Getümmel. Viele Sampans schaukelten auf den Kanälen, vorwiegend mit Frauen besetzt, die eifrig versuchen ihre auf den Booten befindliche Ware anzubieten. In erster Linie waren die Boote mit Gemüse und Früchte beladen, aber es gab auch schwimmende Floristen, die über und über mit weißen und purpurroten Orchideen beladen waren. Duftende Garküchen, streng riechende Fischhändler, und andere wiederum boten allerlei Handwerksarbeiten feil. Es war wahrlich ein buntes Treiben, das sich direkt rund um uns abspielte. Die Geschäfte spielten sich zum Teil direkt am Wasser ab, oder ein Interessent winkte ein Boot ans Ufer, und es wurde dort gefeilscht. Andere wieder landeten an den Pfeilern der Häuser an und kletterten an ihnen hinauf, um dort in luftiger Höhe direkt über dem Wasser, ihre Waren anzupreisen. Obwohl es oft nur um ein paar Lidschi oder ein paar Chilischotten geht, ohne langmächtige Verhandlungen kann kein Geschäft abgeschlossen werden.

Das tollste an diesem Markt jedoch ist, dass man von den Brücken im Dorf einen tollen Überblick über die Farbenpracht des Treibens am Wasser erhält. Die bunten Boote mit den grell leuchtenden Früchten, und die runden, vietnamesischen Bambushüte der Marktfrauen erzeugen ein einzigartiges, äußert exotisches Bild.

Kein Wunder also, dass der fotografiersüchtige Herbert bald verschwunden war, und Film um Film verpulverte. Immer gefolgt von seiner Frau, der die wichtige Aufgabe des Equipment Caddys, Beraters, Dolmetschers, Verpflegers, etc. zufiel. Mario und ich sind eher von der gemütlicheren Seite und wir ließen uns auf einer Holzstufe eines der Gebäude nieder und beobachteten, genüsslich die Milch einer frischen Kokosnuss schlürfend, das bunte Treiben welches sich vor unseren Augen abspielte. Für mich persönlich eine schöne und erfühlende Beschäftigung, die es mir erlaubt, seelisch in diese Atmosphäre einzutauchen, was mir ein innerliches Glücksgefühl beschert.

Ein kleines, nettes Erlebnis sollte hier auch nicht unerwähnt bleiben. Da unsere Führerin das Gefühl hatte uns etwas Gutes tun zu müssen, winkte sie das nächstbeste Boot ans Ufer und begann wild gestikulierend um eine schöne, gelbe Mango zu feilschen. Nach einer Weile brachte sie die erstandene Frucht ganz stolz zu Mario und mir. Mario borgte ihr sein Taschenmesser und sie schnitt sie in Schnitten, entkernte sie und begann uns zu füttern. Eine sehr nette Geste. Ich versuchte ihr zu danken, indem ich ihr erklärte, dass es toll schmeckt, aber es nicht notwendig wäre, dass sie wegen uns ihre Hände mit dem Mangosaft verklebte. Leider war ihr englisch nicht sehr gut und sie fasste meinen Dank falsch auf. Anscheinend meinte sie ich hätte ihr gesagt, dass sie sich die Hände sauber machen sollte, bevor sie uns die Früchte reichte. Also sprang sie schnell zum braunen Wasser hinunter und wusch sich die Hände ausgiebig. Dann kam sie zurück und setzte ihre Tätigkeit fort. Mario und ich aßen tapfer weiter, obwohl wir wussten, dass wir nun alle möglichen Erreger die sich in der dicken Klongbrühe befanden mit verabreicht bekamen. Aber man wollte ja nicht noch einmal unhöflich sein oder ein Missverständnis heraufbeschwören. Es sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass sich keine negativen Folgen durch die gewaschenen Hände einstellten. Wahrscheinlich hatten wir aber an diesem Abend ganz intuitiv besonders viel Mekong (Thai-Whisky) zur Desinfizierung zu uns genommen.

Um die Mittagszeit paddelten wir dann wieder zurück. Wir wollten zwar einen anderen Weg nehmen, aber als wir die Sonne unbarmherzig auf den grünen Dschungel herunterbrennen spürten, waren wir froh, als wir wieder in unserer klimatisierten Limousine saßen.

Diese Geschichte erzählt vielleicht nicht so viel vom Paddeln selbst, aber sie zeigt doch, dass man immer und überall die Möglichkeit findet, dieses interessante Hobby zu betreiben.

-- Jänner 2004, GuenterDollhaeubl