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Manchmal, so glaube ich, hatte ich sogar Angst

Noch ein Schlag... und noch ein Schlag... ich kann einfach nicht mehr. Und noch ein Rundschlag... ich bringe das Paddel kaum mehr aus dem Wasser. Aber ich muß! Noch ein Rundschlag. Ja, es funktioniert! Das Boot steht wieder richtig im Wind. Gott sei Dank! Jetzt schnell die Seite wechseln damit das Boot sich nicht auf der anderen Seite in den Wind legt. Ja es hält. Mein Frontmann hat genau erkannt wie er den Schlag führen muß. Verdammt, wieder eine Bö. Seitenwechsel. Noch mehr Druck auf das Blatt. Ich glaube, mir fallen die Arme ab. Aber es bleibt in der Richtung. Unglaublich wie sensibel so ein Kanu reagiert. Der Wind bläst von Süden über die Cache Bay. Stimmt, exakt von Süden. Genau dort müssen wir hin. Ich muß die Insel da vorne anvisieren. Hoffentlich gibt sie etwas Windschutz.

Ich glaube sein Name war Mackenzie, Alexander Mackenzie. Ich glaube ich war gerade 12, als ich dieses Buch über den Abenteurer bekam und sofort verschlungen habe. Dieser verwegene Entdecker versuchte auf den Flüssen Kanadas die Ost-West-Passage zu entdecken. Zusammen mit einer Gruppe von Voyageuren wagte er sich immer weiter in den Westen. Ich weiß nicht mehr ob er es schließlich doch geschafft hat, oder ob es bloß das Eismeer war, welches er erreichte. Ich war fasziniert von den Männern in ihren Kanus. Mehr als 20 Jahre sind vergangen und doch erinnere ich mich wieder an dieses Buch, welches mich damals so fasziniert hatte. Jetzt war ich selbst in der Wildnis und nehme die Herausforderung der Natur an....

Schon wieder beginnt das Boot abzudrehen. Wir paddeln beide schon auf der gleichen Seite. Unglaublich wie stark der Wind sein kann. Aber wir müssen es wieder in den Wind zwingen. Dies muß uns gelingen ohne daß das Boot zum Stillstand kommt. Ansonsten ist es nicht mehr steuerbar, dreht sich, und schöpft Wasser. So weit vom Ufer ist das lebensgefährlich. Meine Arme schmerzen, mein Herz klopft bis zum Hals. Ich atme bereits schwer. Aber ich darf nicht nachlassen. Wir müssen in den Windschatten der Insel vor uns. Sie ist sicherlich nicht mehr als eine Meile entfernt. Günter du mußt durchhalten! Du mußt einfach!

Mein Freund und Partner war es, der mich zum Kanu fahren in die Lobau mitgenommen hatte. Ein Sonntagsspaß sollte es sein und wurde es auch. Wir waren beide begeistert. Monate später las ich zufällig in einer Illustrierten über das Paradies jedes Kanuten - Boundary Waters in Minnesota, direkt an der kanadischen Grenze. Ein Gebiet größer als Niederösterreich, mit mehr als 3000 Seen, unberührt wie vor 300 Jahren. Natur pur. Ich hatte Blut geleckt. Im Februar hatten wir dann einen Outfitter kontaktiert. Wir bekamen eine Permission für 12 Tage, die uns zum Eintritt in dieses Gebiet berechtigte. Vier Monate später saßen mein Freund Mario und ich im Flugzeug. Fast ohne Gepäck. Wir hatten der Einfachheit halber, die gesamte Ausrüstung gleich mitgebucht. Für 38 US Dollar am Tag.

...der Wind nimmt noch zu. Trotzdem bekomme ich kaum genug Luft. Er treibt die Wellen vor sich her. Jetzt haben sie auch schon weiße Schaumkronen. Ein Zeichen für jeden Kanuten sich rasch eine sichere Landestelle zu suchen. Aber wohin? Niergens Land in Sicht. Wir müssen zurück. Die Schwimmweste habe ich schon lange vorher angelegt. Ich hoffe, daß ich sie nicht brauchen werde. Seitenwechsel. Das ist angenehm. Für zwei Minuten eine Erleichterung. Aber dann wird der Arm wieder müde und fängt an zu schmerzen... Laß mich an etwas anderes denken, ich muß meine Gedanken von den Schmerzen wegbringen.

Ich freue mich schon auf das Camp. Wir werden wieder ein großes Lagerfeuer entfachen und unser Abendessen zubereiten. Aus dehydrierter Fertignahrung. Leicht zu kochen und gut im Geschmack. Die Idee alle drei Tagesmahlzeiten einzeln zu verpacken und zu nummerieren war gut. So braucht man sich nicht um Rationierungen zu kümmern. Die Leute vom Outfitter Camp wissen genau wie es gemacht werden muß.

Oh, diese Welle hat uns voll erwischt. Obwohl es nicht regnet ist mein Partner vor mir vollkommen naß. Drei, vier, fünf, ja jede siebte, nein achte Welle schlägt über das Boot. Wir fassen mehr und mehr Wasser. Es ist leicht auszurechnen, wann wir zu schwimmen beginnen müssen. Nur das nicht. Die Ausrüstung wäre beim Teufel... und ich bin einfach zu müde....

Gestern war das Wetter erstklassig. Keine Wolke am Himmel. Wir waren in der Badehose unterwegs. Das Ergebnis war ein ordentlicher Sonnenbrand. Aber in ein richtiges Kanu gehört eine Rothaut, oder nicht? Das Wetter war eigentlich schon die ganze Woche sehr gut. Auf welcher geographischen Breite liegen wir eigentlich? Die Karte zeigt mir 48 Grad 12' 30" nördliche Breite.

Verdammt! Kurz unaufmerksam gewesen und in die Karte geschaut. Schon dreht sich das Kanu in den Wind. Mein Partner paddelt vor mir verzweifelt dagegen. Ich muß ihm helfen. Er ist ein guter Kanute, aber jetzt ist er auch schon sehr müde. Noch ein Schlag. Das Boot reagiert nicht. Ich kann nicht mehr Druck geben. Schon schlagen mehrere Wellen über das Boot. Jetzt bin auch ich vollkommen naß. Nur nicht nachlassen, Günter. Du hast die Kraft. Zumindest hast Du immer damit geprotzt. Und wieder eine Welle. Das Boot schaukelt verdächtig. Aber nur nicht aufhören zum paddeln. Jetzt haben wir es nicht mehr unter Kontrolle. Zeit zum aussteigen? Aber halt! Der Wind ist kurz abgeflaut. Thanks God! Vier Schläge und wir bekommen es wieder in die gewünschte Richtung. Noch zwei, noch einer. Geschafft. Aber da ist auch schon wieder der Wind. Ich brauche eine Pause. Es geht nicht. Ich muß paddeln. Ich muß weiter paddeln. Immer weiter...

Unsere Trainingseinheiten auf der Donau, der March und dem Ottensteiner Stausee haben sich bezahlt gemacht. Aber die Erfahrung mit dem Wind haben wir erst hier gemacht. Ich bin froh, daß die hier verwendeten Alukanus so stabil und trotzdem so leicht zu führen sind. Mit unserem Kanu zu Hause hätten wir schon längst eine Schwimmübung angesagt.

Wie weit ist es noch? Sicher noch 800 bis 1000 Meter. Es wird einfach nicht weniger. Wir kommen nicht vorwärts. Wir pflügen zwar durch die Wellen, aber es sind eher die Wellen die uns entgegenkommen. Wir bewegen uns wahrscheinlich kaum von der Stelle. Ich schätze noch 20 Minuten, vielleicht länger. Ich kann nicht mehr. Die Schläge meines Freundes werden auch müder. Ich muß ihn aufmuntern. Wir müssen uns gegenseitig Mut machen. Aber ich bin am Ende meiner Kräfte. Die letzten 45 Minuten waren mörderisch. Ich will nicht mehr. Mir ist zum heulen... Den eleganten J-stroke haben wir schon lange aufgegeben. Er kostet einfach zu viel Kraft. Ich muß wieder die Seite wechseln. Das linke Ufer am Horizont schaut immer gleich aus. Es scheint, daß wir uns nicht mehr weiter bewegen. Mist, diese Welle hat uns wieder überrollt. Noch ein paar Liter mehr im Boot. Macht nichts. Das macht stabiler.

Bedeckter Himmel und kein Wind. Der Wunsch jedes Kanuten. Zwar nimmt dann die Moskitoplage ungeahnte Ausmaße an, aber auch daran gewöhnt man sich. Am Abend fallen sie zu 1000en über uns her und stechen in alle möglichen und unmöglichen Stellen. Der dicke Cotton meiner Levi's 501 ist kein Schutz. Ich habe im Inarisee im finischen Lappland gefischt, ich habe die schottischen Hochmoore durchwandert und ich habe das Mekong Delta durchstreift. Überall gab es eine Menge Moskitos. Aber Minnesotas Exemplare sind einzigartig. Nun verstehe ich warum sie zum Nationalvogel des Staates ernannt wurden. Nach Dutzenden von Stichen, dürfte mein Körper das Gegengift schon literweise produzieren.

Kommt diese Scheißinsel nicht doch endlich näher! Auf der linken Handfläche spüre ich die erste Blase. Meine Handschuhe sind heute morgen im Camp geblieben. Selber Schuld. Da! Zirka 200 Meter vor uns scheint das Wasser ruhiger zu sein. Ja wirklich. Noch 1000 Paddelschläge. Ja wir schaffen es! Nur nicht aufgeben! Wir haben es immer geschafft! Wir sind doch die Größten!

Am Abend fahren wir jeden Tag zum fischen. Heute glaube ich, werde ich pausieren. Wir haben schon einiges gefangen. Mein Rekordfisch hier war ein cirka 1 Meter langer, 5 kg schwerer Northern Pike. War ein tolles Feeling, aber ein noch besseres Abendessen....

Ich kann nicht mehr. Alleine das Vorziehen des Paddels verursacht mir Schmerzen im Unterarm und in der Schulter. Durchhalten! Nur nicht aufgeben. "Mario! In fünf Minuten kommen wir in den Windschatten der Insel! Komm, bring mehr Druck auf das Paddel! Wenn wir zu langsam werden, ist das Boot nicht mehr zu steuern!" Blödsinn. Er weiß genau so gut wie ich was zu tun ist. Nur an etwas anderes denken. Den Schmerz vergessen.

Das Paddeln kann anstrengender sein als Boot und Ausrüstung über eine Portage zu schleppen. Anfänglich haben wir ja vieles falsch gemacht. Ich hatte das Boot schlecht auf den Schultern. Dies ergab blaue Flecken an den Nackenwirbeln. Ich fürchtete mein Rückgrad würde brechen als ich das cirka 35 kg schwere Boot Schritt für Schritt durch den feuchtheißen Urwald trug. Ich stolperte über Stock und Stein, durchwatete mit glitschigen Steinen versehene Bäche und stampfte durch knöcheltiefe Schlammlöcher. Immer darauf bedacht, das 5 Meter lange Kanu auf meinen Schultern auszubalancieren. Der Schweiß rinnt dir in Strömen über das Gesicht und die Moskitos greifen in Staffeln an. Ich glaube sie merken, daß der Träger vollkommen wehrlos ist. Aber inzwischen ist alles Routine. Anlanden. Ausladen. Kanu auf die Schultern, ausbalancieren und los geht es. Passage überqueren und Kanu wieder einsetzen. Zurück und Gepäck holen. Dies zwei bis drei mal pro Passage. Kanu wieder beladen und weg vom Ufer. Später Beine kontrollieren und etwaige Blutegel abreißen. Paddel aufnehmen und weiter geht es. Ein abenteuerliches Leben. Ich hätte nicht gedacht, daß es so anstrengend sein kann.

Unglaublich! Da vorne scheint das Wasser ruhiger zu werden. Das muß der Windschatten sein. "Yeaahhhh!" Ein herrliches Gefühl. "Come on, Mario!" Das Boot wird schneller - leichter zu steuern. Was sagt die Karte? Links entlang der Insel, dem Festland zu. Kompaß kontrollieren. Ohne Zweifel, wir sind richtig. Jetzt endlich können wir nachlassen. Uns erholen. Mario dreht sich um und lacht. Ich kann in seinem Gesicht lesen: Wir sind einfach nicht unterzukriegen. In 5 Minuten erreichen wir die Westspitze der Insel. Dann noch einmal 500 Yards gegen den Wind, bis wir in den Schatten des Südufers kommen. Die letzten drei Meilen entlang des geschützten Ufers können kein Problem mehr sein. Diesen Tagesausflug nach Kanada werde ich sicher niemals vergessen. Es ist nicht jedermanns Sache ohne Ausrüstung fernab der Zivilisation an ein Ufer getrieben zu werden, um dort im Urwald einen Tag, ein Woche, oder noch länger zu warten, bis irgendwer vorbei paddelt. Suchen wird sicher keiner. Wie soll man in dieser Gegend auch jemanden finden? Zeitweilig, so glaube ich, habe ich sogar Angst gehabt. Dies ist aber nicht der Grund warum meine Hose total durchnäßt ist.

Morgen wird kein Wind mehr sein. Wir werden wieder fast lautlos über spiegelglatte Wasserflächen gleiten und den Geräuschen der Natur lauschen. Wir werden Enten, Gänse, Elche und vielleicht sogar einen Bären beobachten. Wir werden jede Minute genießen und voller Glück mit der Seele baumeln. Obwohl in zwei Minuten ein weiterer harter Kampf gegen die Naturelemente beginnen wird, weiß ich schon jetzt: Ich komme zurück zu den Boundary Waters - um wieder Pfadfinder und Voyageur zu spielen, um wieder meinen Bubenträumen nachzuhängen, um wieder ein Teil dieser so unberührten Natur zu sein.

Eine Geschichte von GuenterDollhaeubl