KanuKanu

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Wie schon so oft verbrachte ich auch heuer wieder meinen Urlaub in Skandinavien. Und wie schon mehrmals zuvor, hatte ich ein Kanu auf das Autodach geschnallt. Ein Kunststoffkanu. Genauer gesagt, meinen Lebmann Trapper 465. Obwohl das Wetter diesmal wieder ganz in Ordnung war, fanden wir am Boot an so manchen Morgen eine dünne Eisschicht an der dunkelgrünen Oberfläche. Es war erst Ende Mai und für Mittelnorwegen noch fast Winter. Auf der Hochebene bei Mo-i-Rana lag noch meterweise Schnee. Aber die Tage waren schon sehr lang und tagsüber wärmte die nördliche Sonne, die täglich ungefähr 6 Minuten früher am östlichen Himmel erschien. Meine Partner, Hermann und Roman hatten mich überredet an einem Fjord 30 km südlich von Narvik ein paar Tage auszuspannen. Fischen und wandern war auf unserem Tagesprogramm. Ein kleiner Bach, der neben unserem Lagerplatz spritzig vorbei zog, und ein paar hundert Meter weiter unten in den Fjord mündete, reizte zum Kanu fahren. Wir überlegten auch den Bach auf einer längeren Strecke zu befahren. Immerhin war er cirka 30 Meter breit und an einigen Stellen auch recht tief. Aber wie bringt man das Boot nur an den Oberlauf? Strassen schien es nicht zu geben, und das Kanu mit dem Seil am Ufer entlang zu ziehen hatten wir nach zwei Stunden und kaum zwei Kilometern wieder aufgegeben. Kurz oberhalb unseres Camps hörten die Sandbänke auf, und es war fast nicht möglich am Ufer entlang zu wandern, da es dicht verwachsen war. Also paddelten wir eher im Fjord umher und fischten was das Zeug hielt. Es war Mai und die Dorsche schienen Hunger zu haben. An eiweißreicher Nahrung mangelte es uns wahrlich nicht, obwohl während der kurzen Nacht ein Fuchs zweimal unsere Vorräte plünderte. Sei’s wie es sei, wir hatten einen schönen und entspannenden Aufenthalt in diesem kleinen Fjord, dass anscheinend Sjovik genannt wird.

Ich glaub es war so am vierten Tag. Wir waren umher gestrichen und wollten einen Elch mit der Kamera erlegen. Er musste in der Nähe sein, denn wir fanden nicht nur seine frische Losung, sondern hörten ihn auch von Zeit zu Zeit. Anscheinend hatten wir unser Zelt genau an seinem Wechsel über den Bach aufgeschlagen. Egal. Wir kamen erfolglos zurück und während meine Kameraden die flachen Strahlen der Abendsonne genossen, beschloss ich alleine ein wenig hinaus zu paddeln und zu frischen, was ich auch tat. Die einsetzende Ebbe trug mich schnell ins Fjord hinaus, was mir aber keine Sorgen bereitete, da wir dieses Schauspiel schon studiert hatten. Schwieriger war es das Kanu alleine den Bach hinauf zu ziehen. Aber dies war auch kein echtes Problem, da ich es ja an der Mündung einfach zurücklassen konnte. Bald war ich drei bis vier km von unserem Camp entfernt und fischte gemütlich vor mich hin. Es war nicht sehr erfolgreich, aber es störte mich nicht. Ich genoss vielmehr die schöne Landschaft und den unglaublich roten Himmel als die Sonne hinter den westlichen Bergen verschwand. Gleich wurde es ein paar Grade kühler. Ich sog mich warm an und dachte mir, dass ich mich in drei Stunden von der Flut wieder hineintreiben lassen würde. Sollte mir kalt werden, konnte ich ja schon früher zurück paddeln. So fischte ich weiter. Fing auch drei schöne Dorsche und machte es mir im Boot gemütlich. Heute war nur eine angenehme Dünung, die keine Gefahr bedeutete, und es gab keinen Wind. Schnell wurde es dunkel im Fjord. Da merkte ich erst, dass wir anscheinend Neumond hatten, da ich die Grenze zwischen Himmel und Bergkämmen bald nicht mehr deutlich sehen konnte. Ich wartete bis die Sterne richtig schön raus kamen und stellte an Hand der Bergkämme die ich sehen konnte fest, dass ich wieder zurück in unsere Bucht getrieben wurde. Zu faul zu paddeln, zog ich meine Jacke enger an mich und versuchte die Sternbilder am Firmament zu deuten. Leider konnte ich aber keine erkennen. Ich nahm mir vor, sobald ich wieder zurück bin, ein Buch über die verschiedenen Sternbilder zu studieren. So verging die Zeit.

Da plötzlich sah ich einen helleren Schein in nordwestlicher Richtung. Vielleicht ein Scheinwerfer eines Schiffes, oder das Fernlicht eines Autos auf der Bergstrasse. Dann war es wieder dunkel. Ich versuchte mich zu orientieren und begann langsam zurück zu paddeln. Doch da war das Licht wieder. Es war sicher kein Scheinwerfer, sondern vielmehr eine Art von Wetterleuchten. War ein Gewitter im Anzug? Ich hatte noch nie ein Gewitter in Skandinavien erlebt. Ich wusste nicht einmal, ob es so etwas dort gibt. Während ich überlegte, ob dies eventuell eine Gefahr für mich bedeuten konnte, leuchtete es erneut auf. Aber diesmal irgendwie rosa und viel langsamer. Das konnte kein Gewitter sein, und auch kein künstliches Licht. Bevor mit so richtig Angst wurde, kam ich auf die Idee, dass es sich dabei um ein Nordlicht handeln könnte. Und ich hatte Recht. Bald tauchte das Licht wieder auf und es lieb viel länger. Ich hörte wieder zu paddeln auf, stellte dass Boot in den Wind und beobachtete. Das Licht blieb nun mehr oder weniger intensiv am Himmel. Es leuchtete in mehreren Farbtönen, von grün bis rosa, und es projezierte Muster in den Nachthimmel. Da es sich ununterbrochen veränderte, blieb einfach keine Zeit diese Lichtbilder zu genießen. Ich hatte ein ähnliches Gefühl wie bei einem Feuerwerk. Auch da bleibt nie die Zeit die großartigen Feuerschirme der Raketen genauer zu beobachten, denn kaum zeigen sie ihre Pracht am nächtlichen Himmel, sind sie auch schon wieder erloschen. Ein Feuerwerk bekommt seine Schönheit ja erst durch die rasche Abfolge von Raketenexplosionen. Ähnlich verhält es sich bei einem Nordlicht. Erst durch das ununterbrochene auf- und abschwellen des Lichtes, der Farben und der Muster wird es zum Naturschauspiel erster Güte. Dabei ist es im Gegensatz zu Feuerwerken oder Wetterleuchten völlig geräuschlos.

Ich schaute eine Weile diesem Naturphänomen zu, griff dann aber zum Paddel und begab mich auf den Rückweg. Ich wollte auch meinen Freunden diese Lichter zeigen, falls sie sie nicht schon selbst entdeckt hatten. Als ich zurück war hüpfte ich aus dem Boot und lief zum Lagerplatz zurück. Hermann saß am Feuer und hörte sich meine Geschichte an. Zwischen den Bäumen im Wald und durch das flackernde Licht des Lagerfeuers war ihm das Schauspiel vollkommen entgangen. Durch meine Erzählung neugierig gemacht, krabbelte auch Roman aus seinem Zelt und wir gingen zum dunklen Ufer des Fjordes. Aber es war bereits zu spät. Es war von diesem Schauspiel nichts mehr übrig geblieben. Die Sterne standen jetzt am Himmel und erhellten das Firmament. Außerdem erlaubte uns der kleine Ausschnitt des Himmels, den wir aus unserem Blickwinkel zwischen den steil ansteigenden Berghängen sehen konnten, keinen großen Rundumblick. Zwar konnte man noch an einem unmerklichen Flackern am Himmel das abschwellende Nordlicht bemerken, aber es war nur noch zu erahnen.

Wir nahmen uns vor in der nächsten Nacht gemeinsam raus zu paddeln. Dies taten wir auch. Noch während der Ebbe schleppten wir das Boot zum Bach, der es uns erlaubte, bis zum weit zurückgezogenen Meer zu paddeln. Aber außer einer schönen und schlanken Mondsichel konnten wir nichts sehen. Tags darauf, war es bewölkt, und auch die nächste Nacht war nicht besser. Dann irgendwann mussten wir unser Zelt wieder abbrechen und wir zogen weiter.

Obwohl ich auch in anderen Gegenden Skandinaviens in der Nacht paddelte, und obwohl mich meine Reisen bis auf die arktischen Inseln von Spitzbergen führten, hatte ich nie wieder das Glück dieses einzigartige Naturschauspiel beobachten zu können.

-- GuenterDollhaeubl, Jänner 2005